Jugendrotkreuz und Rotes Kreuz: Psychische Erste Hilfe kennt keine Altersgrenzen

Psychische Erkrankungen und Störungen des seelischen Wohlbefindens sind laut Sozialministerium für 20 bis 25 Prozent der Krankheitslast in der Europäischen Region verantwortlich. Gerade auch die COVID-19 Pandemie hat hier massive Herausforderungen mit sich gebracht. Jetzt starten das Rote Kreuz Niederösterreich und das Jugendrotkreuz Niederösterreich Angebote zur Psychischen Ersten Hilfe für alle Altersgruppen.
Es sind oft genug nicht nur sichtbare Wunden und Verletzungen, die versorgt werden müssen. Viel schwerer zu sehen sind psychische Verletzungen. Gerade aber belastende Ereignisse wie Unfälle, Naturkatastrophen aber auch Notfälle in den eigenen vier Wänden führen zu psychisch belastenden Situationen für Angehörige, Freunde oder Helfer:innen. Erwachsene sind hier ebenso betroffen wie Kinder und Jugendliche.
„Deshalb hat das Jugendrotkreuz österreichweit bereits im Jahr 2021 mit ersten Kursen für Psychische Erste Hilfe an Schulen begonnen, seit 2022 werden diese auch an Schulen in NÖ umgesetzt. Von diesen Formaten liegen nun erste Ergebnisse vor. Ab Oktober werden nun zudem Kurse für Erwachsene angeboten, um dieses wichtige Thema stärker in der Wahrnehmung zu verankern. Genauso wie jeder und jede Einzelne im Notfall Erste Hilfe leisten kann, sollte sich auch jeder Mensch seiner Verantwortung bewusst sein, aktiv zu werden, wenn sie sehen, dass eine Person mit psychischen Herausforderungen zu kämpfen hat“, erklärt Präsident Josef Schmoll, Rotes Kreuz Niederösterreich. „Außerdem werden vom Jugendrotkreuz neben den schulischen künftig auch außerschulische Formate zur Verfügung stellen, um junge Menschen auf diese Themen verstärkt aufmerksam zu machen. Mit diesem umfangreichen Angebot sollen alle Menschen angesprochen werden – denn helfen kennt keine Altersgrenzen.“
Erste Ergebnisse aus dem schulischen Bereich
„Im Jugendrotkreuz haben wir bereits sehr früh begonnen, hier eine Hilfestellung aufzubauen. Die ersten Erfahrungen konnten nicht nur gesammelt, sondern bereits auch ausgewertet werden, jetzt wollen wir die Workshops für die Sekundarstufe I und II weiter ausrollen“, erzählt Landesleiterin Maria Handl-Stelzhammer, JRK NÖ. „Vor allem bei Jugendlichen tauchen Gedanken über Tod und Sterben und Suizidgedanken immer wieder auf. Da sich die Situation im Zuge der Corona-Pandemie deutlich verschlechtert hat, ist es noch wichtiger geworden, offen über das Thema sprechen und den Entwicklungen mit Prävention bestmöglich entgegenwirken zu können.“ Bisher konnten bereits 61 Vortragende geschult und seit September 2022 insgesamt 431 Schüler:innen in 25 Workshops in Niederösterreich erreicht werden. Umgesetzt wurden diese Workshops von März bis Juni 23 unter anderem auch dank der finanziellen Unterstützung durch die AK NÖ im Rahmen des Projektfonds „Arbeit 4.0“. Die Ziele der Psychischen Ersten Hilfe im schulischen Kontext sind unter anderem Wissensvermittlung und Sensibilisierung. Gleichzeitig wird hoher Wert auf die Stärkung von personalen und sozialen Ressourcen, die Vermittlung von Skills zur Vernetzung, die Stärkung des Miteinanders auf Peer-Ebene, die Gewinnung von Sicherheit im Umgang mit Problemlagen und die Enttabuisierung psychischer Leidenszustände gelegt.
Die ersten Ergebnisse einer Kursevaluation im Sommer 2023 zeigen, dass Schüler:innen für sich einen Informations- und Kompetenzgewinn verbuchen können. Hier konnten laut Studie die quantitativen Daten in allen Fragen signifikante Unterschiede im vorher-nachher Vergleich darlegen. In den qualitativen Erhebungen ergaben sich im Bereich der Impactevaluation, dass einige Schüler:innen von einem eindeutigen Kompetenzgewinn berichten. So wurde grundsätzlich erzählt, dass das ‚Aktive Zuhören‘ und das Anbieten von Unterstützung besser funktioniert als vor dem Workshop. „Wir sind mit den ersten Ergebnissen durchaus zufrieden“, meint Handl-Stelzhammer. „Geplant ist, die Kurse an den Schulen weiterzuführen und künftig auch im außerschulischen Bereich eigene Kursformate anzubieten.“
Neues Kursformat Psychische Erste Hilfe für Erwachsene
„Psychische Probleme – egal ob nach einer Katastrophe oder einem Todesfall, wegen Überbelastung oder aus vielen anderen Gründen – sind in unserem Kulturkreis immer noch stigmatisiert. Man spricht am liebsten gar nicht darüber“, meint Chefpsychologe Cornel Binder-Krieglstein. „Genau dieses Tabu wollen wir aufbrechen. Wir wollen – wie in der klassischen Ersten Hilfe – den Menschen zeigen, wie wichtig es ist, zuzuhören und nachzufragen. Wie groß die Hilfe ist, wenn man einem Freund, Angehörigen, Nachbarn oder Partner Raum gibt, um zu reden – oder auch einmal gemeinsam zu schweigen. Psychische Erste Hilfe kann vieles bewegen. Man muss selbst nicht Experte oder Expertin sein – meist reicht es schon das Gespräch zu starten und das Gefühl zu vermitteln, dass es okay ist, dass es einem einmal ‚nicht gut geht‘. Vieles wird bereits intuitiv richtig gemacht, wenn man einen weinenden jungen Menschen anspricht oder einer Frau hilft, deren Mann gerade einen Infarkt hatte… Wir sehen viele dieser Fälle – werden wir aktiv. Das neue Kursformat bietet dafür das Handwerkszeug.“
Maßnahmen zur Stabilisierung der Psyche, die sogenannte Psychische Erste Hilfe, ist ebenso wichtig, wie das Versorgen von Verletzungen. Das Konzept der Psychischen Ersten Hilfe wurde von Expert:innen aus unterschiedlichen Bereichen entwickelt und bietet verschiedene Möglichkeiten der Intervention. Der Fokus des neu angelegten Kursprogrammes liegt darauf, Helfenden einen Rahmen der Tätigkeit zu bieten, eigene Grenzen zu erkennen und auf sich selbst zu achten. In Ausnahmesituationen wird das eigene Wohlbefinden oft hintangestellt. Der Kurs soll deshalb dazu beitragen, Vorurteile gegenüber psychischen Erkrankungen und Veränderungen abzubauen sowie sich selbst wahrzunehmen.
Angeboten wird der Kurs in zwei unterschiedlichen Formaten – als vierstündiger Einführungskurs und als 16-stündiger Kurs. Gebucht werden können beide Formate ab sofort über die Kursplattform www.erstehilfe.at.
„Wir haben nun 12 Rotkreuz-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgebildet, die diesen Kurs abhalten und wichtige Tipps über das optimale Verhalten und die möglichen Unterstützungen geben können“, sagt Hannes Buxbaum, Landesdirektor Gesundheits- und Soziale Dienste, Rotes Kreuz Niederösterreich. „Menschen für Krisen nach dem Motto ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ vorzubereiten oder bei der Überbrückung der Zeit zu helfen, bis professionelle Unterstützung da ist, ist unser Anliegen. Mit Hinschauen – Zuhören – Vernetzen können bereits wichtige erste Schritte gesetzt werden – und vor allem: Der Mensch wird in seiner Ausnahmesituation nicht alleine gelassen.“
Die Kursformate
Erwachsenenbildung:
Es stehen zwei Kursformate zur Verfügung:
Einführungskurs Psychische Erste Hilfe
In diesem Kurs lernen die Teilnehmer:innen die Definition von Psychischer Erste Hilfe kennen. Außerdem werden Grundzüge der Psychischen Erste Hilfe, Unterstützungsangebote, Selbstfürsorge und weitere Unterstützungsleistungen besprochen. In einem ersten Schritt soll vor allem das Wissen um die Herausforderungen psychischer Probleme geschärft werden, um Vorurteile abzubauen.
Dauer: 4 Stunden
Der Kurs kann über www.erstehilfe.at gebucht werden.
16-Stunden Kurs Psychische Erste Hilfe
Im 16-Stunden-Kurs beschäftigen sich die Teilnehmer:innen intensiv mit Themen wie Erkennen von psychischen Problemen, Umgang mit Stress oder wie Menschen in Krisen reagieren. Im Mittelpunkt stehen aber auch praktische Tipps: wie kann Hilfe geleistet werden? Wo liegen die Grenzen der Möglichkeiten? Wie kann achtsame Selbstfürsorge aussehen?
Dauer: 16 Stunden
Der Kurs kann über www.erstehilfe.at gebucht werden.
Jugendrotkreuz
Hier stehen sowohl im schulischen als auch im außerschulischen Kontext ab Herbst eigene Kursformate zur Verfügung. Zudem wird auch durch e-Learning auf das Thema sensibilisiert.
Workshops in Schulen
Die schulischen Workshops des Jugendrotkreuzes werden an Schulen in ganz Niederösterreich, Sekundarstufe I und II, von ausgebildeten Pädagog:innen abgehalten. Die Dauer eines Workshops beträgt drei Schulstunden und die Inhalte setzen sich aus dem Leitfaden der WHO „LOOK – LISTEN – LINK“ zusammen. Schwerpunkte liegen bei Suizidalität und Ressourcenstärkung, welche anhand vieler Übungen behandelt werden.
Außerschulische Angebote
Im Rahmen der Jugendgruppen werden im Herbst die Jugendgruppen-, Team- und Fachbereichsleiter:innen auf das Thema Psychische Erste Hilfe vorbereitet, um die Inhalte dann entsprechend in den Jugendgruppen zu thematisieren und aufzuarbeiten. Entsprechendes Kursmaterial wird durch das Jugendrotkreuz zur Verfügung gestellt.
e-Learning Angebote
In den e-Learning-Kursen dreht sich alles um psychische Gesundheit und wie man helfen kann. Hier kann man einfach reinklicken und loslegen! Es bestehen drei Kursangebote:
- Unterstützung in Krisensituationen: Psychische Erste Hilfe: Basic
- Infos zu psychischen Erkrankungen: Psychische Erkrankungen
- Stress und Stressbewältigung: Stress lass nach
Weitere Infos und alle e-Learning Angebote des JRK sind zu finden unter: https://www.jugendrotkreuz.at/kindergarten-schule-lernen/psychische-erste-hilfe
Tulln, 30. August 2023
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