Grenzüberschreitende Hilfe und logistische Herausforderungen – ein Notfallsanitäter des Roten Kreuz Purkersdorf-Gablitz sammelte Erfahrungen beim Aufbau eines Feldkrankenhauses im fiktiven Land „Modulistan“ während einer internationalen Übung in Italien.
Georg Tertsch ist seit Sommer 2015 als Notfallsanitäter im regionalen Rettungsdienst beim Roten Kreuz Purkersdorf-Gablitz tätig. Sein zweites Betätigungsfeld ist die Katastrophenhilfe auf nationaler und internationaler Ebene. Anfang Juni fand die internationale Übung zur Katastrophenhilfe in Ancona, Italien statt, bei der Georg als Teil des EMT 1 – „Emergency Medical Team“ den Aufbau eines Feldkrankenhauses trainierte. Seine Erfahrungen und Erlebnisse fasste er in einem spannenden Bericht zusammen:
Montagmorgen, 5. Juni 2023: Abreise nach Italien
Schon am frühen Montagmorgen machten wir uns mit einem gemeinsamen Konvoi von Kolleg:innen aus Niederösterreich und Wien auf den Weg nach Bologna. Nach der 8-stündigen Fahrt trafen wir dort auf die restlichen Kolleg:innen aus ganz Österreich, die mit LKW, Rettungswagen und Mannschaftstransportwagen angereist waren. Vom Italienischen Roten Kreuz wurden wir herzlich willkommen geheißen. Es war ein kurzer Aufenthalt über Nacht geplant, doch vorher hatten unsere italienischen Kolleg:innen für uns ein Abendessen organisiert. Die Zeit zum Ausruhen war trotzdem kurz. Uns stand eine anstrengende Woche bevor.
Dienstagfrüh, 6. Juni 2023: Aufbruch ins Übungsgebiet
Bereits in der Nacht zum Dienstag setzten wir unsere Reise fort, diesmal in Richtung Ancona. Bevor dort die Simulation der Übung beginnen sollte, hatten wir weitere 2,5 h Fahrt vor uns. Die Übungsannahme sollte eine erschütternde Erdbebenkatastrophe in der italienischen Region Arcevia sein, bei der Tausende von Menschen betroffen und verletzt waren. Unser Einsatz war Teil der European Civil Protection and Humanitarian Aid Operation, in Zuge dessen das Österreichische Rote Kreuz gebeten wurde, im fiktiven Land „Modulistan“ internationale humanitäre Hilfe zu leisten. Unser Übungsziel war die Einrichtung eines Feldspitals, um die dringend benötigte medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.
Dienstag, 6. Juni – Freitag, 9. Juni 2023: Phase 1 bis 3 – die Übung läuft!
Phase 1: Anreise, Aufbau des Feldkrankenhauses, Versorgung der Erdbebenopfer
Ein internationaler Katastropheneinsatz benötigt einiges an Vorbereitung und Organisation. Unser Übungsland „Modulistan“ war kein EU-Mitglied, weswegen wir uns vor unserer Abreise mit Einreiseformalitäten, Visaverfahren und Zollkontrollen auseinandersetzen mussten. Wir wussten, dass diese bürokratischen Schritte notwendig waren, um unsere Hilfe leisten zu können. Schließlich kamen wir in „Modulistan“ an. Der nächste Schritt war die Suche nach einem geeigneten Standort für das Feldkrankenhaus.
Wir benötigten Platz für das Feldspital, Versorgungs- und Organisationszelte, sowie Personalzelte in Zusammenhang mit notwendiger Infrastruktur, die wir zur Betreibung des Feldspitals benötigten. Nach gründlicher Prüfung fanden wir am späten Dienstagabend endlich den perfekten Ort. Nun konnte der Aufbau beginnen. Wir errichteten insgesamt acht Zelte für das Krankenhaus, ein Kommandozelt, zwei Küchen- und Essenszelte sowie vier Schlafzelte für die eigene Mannschaft. Es war ein beeindruckendes logistisches Unterfangen, bei dem ebenfalls die Strom- und Wärmeversorgung berücksichtigt werden musste. Doch wir arbeiteten Hand in Hand, um alles rechtzeitig und effizient aufzubauen.
Bereits während des Aufbaus mussten die ersten Patienten in der Übungssimulation versorgt werden. Es war bewegend zu sehen, wie unser Team sofort zur Stelle war, um ihnen medizinische Hilfe zukommen zu lassen. Tag und Nacht arbeiteten wir im Schichtbetrieb, um Hunderte von Menschen zu versorgen. Ich selbst (Georg Tertsch) war in der Triage, also der Sichtung und Zuteilung der Verletzten, eingeteilt. Die Übungsleitung konfrontierte uns dabei mit verschiedenen Szenarien, mit denen wir bei einem Erdbeben rechnen mussten. Zuerst behandelten wir die direkt vom Erdbeben betroffenen Verletzten, die dringend unsere medizinische Versorgung benötigten.
Phase 2: Die Folgen des Erdbebens – Krankheiten durch mangelnde Hygiene
Doch damit nicht genug. In der nächsten Phase der Übung kamen Fälle von Krankheiten auf uns zu, die aufgrund der geringen Hygienestandards infolge der Katastrophe auftraten. Unser medizinisches Team war geschult, mit solchen Situationen umzugehen, und wir konnten die Erkrankten angemessen versorgen und behandeln.
Phase 3: Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung
In der letzten Phase standen wir vor der Herausforderung, Patienten zu betreuen, die aufgrund der Katastrophe keinen Zugang mehr zu ihren Hausärzten hatten, um ihre lebenswichtigen Medikamente für chronische Erkrankungen zu erhalten. Es war eine besondere Verantwortung für uns, diese Menschen nicht im Stich zu lassen und alternative Lösungen zu finden.
Während der Übung hatten wir außerdem die Möglichkeit, die Feldkrankenhäuser anderer Hilfsorganisationen zu besuchen und Erfahrungen auszutauschen. Der Austausch mit unseren internationalen Kollegen war inspirierend und half uns, neue Perspektiven und Ansätze für unsere eigene Arbeit zu gewinnen. Wir konnten von den bewährten Praktiken anderer lernen und unser Wissen und unsere Fähigkeiten weiterentwickeln.
Freitagnachmittag, 9. Juni 2023: Abbau und Übungsende
Am Freitagmittag begann der Abbau des Feldkrankenhauses. Es war eine logistische Herausforderung, insgesamt etwa 45 Tonnen Material abzubauen und zu verladen. Mit vereinten Kräften verlief der Abbau allerdings reibungslos.
Samstag, 10. Juni 2023: Abschluss und Heimreise
Am Samstag fand schließlich eine gemeinsame Abschlussveranstaltung mit allen Teilnehmer:innen statt. Unsere Mission war erfolgreich gewesen, und wir hatten Hunderten von Menschen geholfen, ihre Gesundheit wiederzuerlangen. Es war ein emotionaler Moment, denn es lag nicht nur eine anstrengende Woche hinter uns, wir waren auch stolz auf das, was wir als Team erreicht hatten. Nun traten wir den Rückweg nach Österreich an, mit dem Wissen, dass wir einen wertvollen Beitrag geleistet hatten.
Als Mitglied des Roten Kreuzes war es eine Ehre, an dieser Übung teilgenommen zu haben. Es war ein intensives Erlebnis, das uns gezeigt hat, wie wichtig unsere Arbeit ist und wie sehr wir in Krisenzeiten gebraucht werden. Als Notfallsanitäter beim Roten Kreuz werde ich gemäß unseren Grundsätzen weiterhin bereit sein, über Grenzen hinweg zu gehen und anderen Menschen in ihrer größten Not beizustehen.