Allzeit bereit: Sicherheit bei Großveranstaltungen!
Bei Großveranstaltungen ist die Anwesenheit von Rettungsorganisationen wie dem Roten Kreuz behördlich vorgeschrieben. Aber wie läuft ein Einsatz inmitten euphorischer Menschenmassen eigentlich ab? Mariella Bouilliez vom Wiener Roten Kreuz erzählt uns, worauf es ankommt, um im Getümmel einen kühlen Kopf behalten zu können.
Mariella Bouilliez, Mitarbeiterin des Büros für Ambulanz- und Sanitätsdienste beim WRK
Die Luft vibriert vor Hitze und Aufregung. Tausende Menschen drängen sich dicht an dicht, sie tanzen und singen mit unbändiger Freude. Treibende Beats, ohrenbetäubender Jubel. Grelle Lichter von der Bühne, breites Grinsen im Gesicht ausgelassener Fans. Bei all der Euphorie, bei aller Begeisterung steht eine Gruppe von Menschen am Rande des Geschehens und behält einen kühlen Kopf: die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Roten Kreuzes, die die medizinische Erstversorgung der Besucher:innen gewährleisten.
Hilfe ist vorgeschrieben Die Anwesenheit eines Sanitätsdienstes ist bei Veranstaltungen ab einer gewissen Größe behördlich vorgeschrieben, erklärt Mariella Bouilliez. Sie ist Mitarbeiterin des Büros für Ambulanz- und Sanitätsdienste im Wiener Roten Kreuz: „Die gesetzlichen Vorgaben unterscheiden sich je nach Bundesland. In Wien sind Sanitätsdienste ab 1.000 Besucher:innen, die sich gleichzeitig vor Ort befinden, vorgeschrieben. Die Größe unseres Einsatzteams richtet sich jedoch nicht nur nach der Zahl der Menschen vor Ort, sondern auch nach der Ausdehnung des Veranstaltungsgeländes und der Art der Veranstaltung. Wir müssen in der Lage sein, jederzeit effizient helfen zu können.“
Die 30-jährige Wienerin hat das Lehramtsstudium für Französisch und Biologie absolviert. Zum Wiener Roten Kreuz ist sie über berufliche Umwege gekommen: „Während der Corona-Pandemie habe ich zuerst in einem Impfzentrum gearbeitet. Dann bin ich zur Unterstützung des Impfkoordinations-Teams ins Backoffice gewechselt, wo wir Impfzentren des Roten Kreuzes organisiert und betreut haben.“
2021 erfolgte der fließende Übergang ins Team der Sanitätsdienste: „Meine Arbeit an der Schnittstelle zwischen Veranstalter:innen, Behörden und unseren Sanitäter:innen und je nach Bedarf auch Notärzt:innen vor Ort ist faszinierend und sehr abwechslungsreich. Die eine oder andere Herausforderung gibt es immer zu meistern.“
Erfahrung als große Stärke
Im Einsatz beim Vienna City Marathon 2024
Die Organisation eines Sanitätsdienstes beginnt mit dem Kontakt zu den Veranstalter:innen: „Wir müssen wissen, um welche Art von Event es sich handelt“, sagt Mariella Bouilliez. „Denn natürlich macht es einen Unterschied für die Risikoeinschätzung, ob die Besucher:innen eines Kongresses vorwiegend in einem Saal sitzen und Vorträge anhören, oder ob tausende Menschen im Freien in Bewegung sind und Alkohol und möglicherweise Drogen konsumiert werden. Erst dann können wir berechnen, wie viele Sanitäter:innen und Ärzt:innen wir brauchen, um vor Ort eine optimale Versorgung garantieren zu können.“
Bei der Planung der Teamzusammensetzung werden verschiedene wissenschaftlich anerkannte Berechnungsmethoden herangezogen. Die Bekannteste ist vermutlich das „Maurer-Schema“, das Klaus Maurer, der Oberbranddirektor der Berufsfeuerwehr Hamburg, entwickelt hat, um die Risikobewertung bei Großveranstaltungen zu standardisieren. „Es gibt allerdings noch viele weitere Algorithmen, die wir bei der Planung berücksichtigen“, sagt Mariella Bouilliez.
Letztendlich, sagt Mariella Bouilliez, ist es hilfreich, dass das Wiener Rote Kreuz im Laufe der Jahrzehnte einen riesigen Erfahrungsschatz gesammelt hat. Auf Basis dessen kann das Rote Kreuz meist sehr gut einschätzen, mit welcher Art von Patient:innenversorgungen bei den Veranstaltungen zu rechnen ist.
Freiwillige vor! Haben sich die Veranstalter:innen zur Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz entschieden, beginnt die Kommunikation mit den Behörden, sagt Mariella Bouilliez. In Wien verlangt die MA 36, das Amt für Gewerbetechnik, Feuerwehr und Veranstaltungen, ab 5.000 Besucher:innen spezielle Sicherheitskonzepte von den Veranstalter:innen. Teil dieses Sicherheitskonzepts ist das sogenannte Sanitätskonzept, das nach eingehender Prüfung durch die MA 70, also die Wiener Berufsrettung, freigegeben wird: „Es kommt in Einzelfällen vor, dass wir das geplante Personal noch aufstocken müssen.“
Für die Kosten des Sanitätsdienstes kommen die Veranstalter:innen auf. „Wenn wir wissen, welche Mannschaftsstärke wir brauchen, schreiben wir unsere Dienstpläne. Gerade bei großen Konzerten, Festivals und Sportveranstaltungen finden sich immer Mitarbeiter:innen, die sich ohnehin für die Künstler:innen und Sportler:innen interessieren und zum Gelingen der Veranstaltung beitragen wollen.“
Der Defibrillator ist immer dabei Die Teams bestehen überwiegend aus freiwilligen und hauptberuflichen Mitarbeiter:innen, Zivildienstleistenden sowie Personen, die das freiwillige soziale Jahr absolvieren. „Die unterschiedlichen Erfahrungen und Hintergründe unserer Teams macht unsere Stärke aus“, sagt Mariella Bouilliez. Und ergänzt: „Wir müssen in der Organisation immer flexibel sein, denn selbstverständlich können auch unsere Leute erkranken und dann müssen wir kurzfristig für Ersatz sorgen.“
Je nach Anforderung variiert die Zusammensetzung des Teams: „Ob Notärzt:innen im Einsatz sind, hängt von der Größe oder der Risikobewertung der Veranstaltung ab. Und Notfallsanitäter:innen haben natürlich eine umfassendere Ausbildung und entsprechend größere Notfallkompetenzen als Rettungssanitäter:innen.“ Doch egal, wie groß das Team ist, ein Defibrillator zählt auf jeden Fall zum Standard-Equipment: „Und wenn wir mit einem Krankenwagen vor Ort sind, dann ist ohnehin sämtliches Material vorhanden, das wir auch im Rettungsdienst verwenden würden.“
Ruhe im Sturm
Die Herausforderungen bei Events unterscheiden sich nicht zuletzt witterungsbedingt, sagt Mariella Bouilliez. Während etwa im Sommer die Hitze für medizinische Interventionen sorgt, müssen sich Rotkreuz-Mitarbeiter:innen im Winter um ganz andere Probleme kümmern: „Wir betreuen seit vielen Jahren den ‚Eistraum‘ am Wiener Rathausplatz. Dort erleben wir immer wieder Knochenbrüche, Verstauchungen, Luxationen und verschiedene Traumata.“
Das Wiener Rote Kreuz kommt auch regelmäßig bei Veranstaltungen im Ernst-Happel-Stadion zum Einsatz, heuer etwa bei den Konzerten von AC/DC im Juli oder von Taylor Swift und Coldplay im August. „Wie sichtbar wir tatsächlich sind, hängt immer vom jeweiligen Konzept ab. Im Stadion zum Beispiel sind unsere mobilen Einheiten auf den Rängen und rund um den Rasen verteilt. Wir wollen einerseits so nah wie möglich am Geschehen sein, andererseits wollen wir mit unserem teils recht sperrigen Equipment niemandem im Weg stehen, der einfach nur das Konzert genießen will.“
Etwaige Behandlungen erfolgen ohnehin in einem ruhigen, geschützten Raum abseits des Gedränges: „Und zwar nicht nur, damit wir ungestört arbeiten können. Auch die Patient:innen wollen ja nicht in aller Öffentlichkeit behandelt werden und benötigen Privatsphäre.“ Die Aufgabe der Rotkreuz-Mitarbeiter:innen umfasst dabei – eigentlich – nur Notfalleinsätze: „Wir haben aber schon erlebt, dass Leute zu uns kommen und erzählen, dass sie seit drei Wochen Bauchschmerzen haben. Natürlich nehmen wir uns für solche Gespräche nach Möglichkeit Zeit“, erzählt Mariella Bouilliez mit einem Schmunzeln. „Wir verweisen sie in so einem nicht akuten Fall aber doch immer an ihren Hausarzt oder ihre Hausärztin ...“
Kooperation zum Wohle Aller Die Mitarbeiter:innen des Roten Kreuzes sind bei Großevents via Funk miteinander verbunden. „Und wir stehen im permanenten Kontakt mit anderen Sicherheitsdiensten, also etwa der Polizei oder der Feuerwehr. Bei großen Veranstaltungen gibt es eine sogenannte Sicherheitszentrale, in der auch jemand aus unserem Team sitzt und Einsätze koordinieren kann.“ Die Kooperation, sagt Mariella Bouilliez, funktioniert erfreulich reibungslos: „Wir haben ja alle das gleiche Interesse. Wir möchten, dass der Event möglichst reibungslos über die Bühne geht.“
Internationale Großveranstaltungen wie ein Formel-1-Grand-Prix erfordern zudem eine Zusammenarbeit mehrerer Rotkreuz-Dienststellen aus ganz Österreich. Anfang Juli waren deshalb Einheiten der Landesverbände Steiermark, Kärnten, Oberösterreich, Vorarlberg, Tirol und Niederösterreich gemeinsam am Red Bull Ring in Spielberg im Einsatz; nächstgelegene und damit verantwortliche Dienststelle war das Rote Kreuz Knittelfeld.
Einsatz rund um die Uhr
Damit mehr als 300.000 Fans aus aller Welt das Motorsportspektakel in der Steiermark genießen konnten, waren rund 300 Sanitäter:innen und Notärzt:innen, 30 Rettungswägen und drei Rettungsstationen rund um die Strecke verteilt. Insgesamt mussten am dreitägigen Rennwochenende 896 Menschen vor Ort medizinisch versorgt werden, 51 weitere wurden zur Behandlung in umliegende Spitäler transportiert.
Und auch beim „Rolling Loud“-Festival im niederösterreichischen Ebreichsdorf waren Rotkreuz-Mitarbeiter:innen aus mehreren Dienststellen im Dauereinsatz. Für den Ambulanzdienst und damit für die medizinische Betreuung von mehr als 150.000 Besucher:innen war das Rote Kreuz Baden in führender Funktion zuständig. Rund 900 Menschen wurden Anfang Juli vor Ort versorgt: Neben Kreislaufbeschwerden mussten sich die Ersthelfer:innen vor allem um kleinere Verletzungen wie Schnittwunden, Abschürfungen und Verstauchungen kümmern.
Der Marathon, eine Mammutaufgabe Die in – vielerlei Hinsicht – größte Veranstaltung für das Wiener Rote Kreuz ist traditionell der Vienna City Marathon. Zu den logistischen Herausforderungen gehört nicht nur, dass 35.000 Teilnehmer:innen und rund 400.000 Zuschauer:innen im Notfall zu betreuen sind. Sondern auch, dass das Team des Roten Kreuzes eine Strecke von mehr als 42 Kilometern quer durch ganz Wien abdecken muss.
Um diese Aufgabe möglichst flächendeckend erfüllen zu können, waren 2024 rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Wiener Roten Kreuzes im Einsatz, darunter ein leitender Notarzt und sieben weitere Notärzt:innen, wie Mariella Bouilliez erzählt: „Es gab insgesamt 175 Interventionen, 33 Patient:innen wurden in Krankenhäuser transportiert.“
Planung ist das A und O Für Veranstaltungen dieser Größenordnung beginnt die Planung vonseiten des Roten Kreuzes mindestens ein halbes Jahr vor dem Event, die letzten zwei Monate vor dem eigentlichen Startschuss bezeichnet Mariella Bouilliez als „heiße Phase“.
Am Anfang wiederkehrender Herausforderungen wie dem Vienna City Marathon, den das Wiener Rote Kreuz seit vielen Jahren begleitet, steht die Aufarbeitung jüngster Erfahrungen: „Schon kurz nach einem Event holen wir das Feedback unserer Mitarbeiter:innen vor Ort ein, aber auch das der Veranstalter:innen. Wir wollen aus den Erfahrungen lernen. Unser Ziel ist natürlich, dass wir immer besser, immer effizienter helfen können.“