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Erste Hilfe: Leben über Tod

Wie der Name schon sagt: Erste-Hilfe-Kurse sollen vermitteln, wie man erkrankten oder verletzten Personen bis zum Eintreffen von professionellem Rettungspersonal Erste Hilfe leistet. Unser Blog-Redakteur Hannes Kropik hat einen Grundkurs besucht und erzählt, warum er sich jetzt im Ernstfall sicherer fühlt.

Hannes Kropik wird von Martin Zeller bei der Übung zur Reanimation beobachtet.

„Es ist nicht wie im Film“, sagt Martin Zeller. Der 24-jährige Niederösterreicher leitet den zweitägigen Kurs zwar mit einer gesunden Portion Humor und vermittelt selbst Schreckensszenarien mit einer gewissen Leichtigkeit. Und doch weist er immer wieder darauf hin, dass uns Hollywood lebensrettende Maßnahmen oft zu simpel darstellt. Was er damit meint, wird spätestens bei der Herzdruckmassage klar, die alle Kursteilnehmer:innen an einer Plastikpuppe durchführen müssen: Selten haben sich zwei Minuten so lang angefühlt wie bei der dieser schweißtreibenden Übung. Und das ganz ohne den mentalen Druck, vielleicht gerade wirklich ein Menschenleben retten zu müssen …

Kompetente Antworten

Ich hatte meinen letzten Erste-Hilfe-Kurs 2017 absolviert. Die empfohlene Auffrischung nach vier Jahren ist den Corona-Lockdowns zum Opfer gefallen. Und, zugegeben, meiner eigenen Faulheit. Doch damit ist jetzt Schluss: Ich buche auf www.roteskreuz.at einfach einen 16-stündigen Grundkurs, um (endlich wieder) zu lernen, wie ich im Ernstfall helfen kann. Die 90 Euro Kursgebühr sind, bin ich mir sicher, eine vernünftige Investition.

Der zweitägige Kurs im Ausbildungszentrum des Wiener Roten Kreuzes (praktisch bei der U3-Station Erdberg gelegen) beginnt pünktlich um 8 Uhr früh. Wir sind 18 Personen zwischen Anfang 20 und Mitte 50, je neun Männer und Frauen. Eine Gruppe von Fremden, die sich im Lauf der Zeit immer besser aufeinander einstellen werden. Manche (ja, zugegeben: ich …) stellen oft spontane Zwischenfragen, die Martin ebenso geduldig wie kompetent beantwortet; andere hören gespannt zu. Wir erzählen von eigenen Erfahrungen mit Unfällen und diskutieren über unserer Meinung nach richtige Reaktionen in Extremsituationen, wir führen Übungen in Zweierteams durch (bei dieser Gelegenheit: herzlichen Dank für deine Geduld, Katarina!), helfen einander und feuern uns an. Die Stimmung ist trotz der absurden Juli-Hitze freundlich und entspannt.

Aufklärung für Laien

Das Österreichische Rote Kreuz bietet eine große Auswahl an Erste-Hilfe-Kursen mit unterschiedlichen Schwerpunkten an, etwa für den Führerschein (6 Stunden), die Ausbildung zum betrieblichen Ersthelfer (16 Stunden) oder für Säuglings- und Kindernotfälle (16 Stunden). Im Jahr 2022 allein nahmen mehr als 220.000 Menschen an einem der knapp 17.000 Kurse in ganz Österreich teil.

In den Kursen geht es keinesfalls darum, einfach das Medizinstudium oder die Sanitäter:innen-Ausbildung zusammenzufassen. Aber es wird rasch klar, dass es nicht schadet, wenn man als medizinischer Laie gewisse Grundlagen lernt und zum Beispiel weiß, wie man in Stresssituationen Prioritäten setzt und den Überblick bewahrt. Und tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass man selbst einmal Erste Hilfe leisten muss, gar nicht so gering: Herzkreislauferkrankungen sind die häufigste Todesursache in Österreich; jedes Jahr erleiden rund 30.000 Menschen einen Herzinfarkt …

Die Küche ist nicht Hollywood

Martin unterteilt die Ausbildung locker in ein- bis eineinhalbstündige Einheiten und gönnt uns dazwischen immer wieder Erholungspausen (und natürlich eine Mittagspause). Er selbst hat jahrelang Erfahrung als Rettungssanitäter beim Roten Kreuz gesammelt und kann sein praktisches Wissen auch theoretisch gut verständlich vermitteln. Und gibt Tipps, die man hoffentlich niemals nutzen muss.

Etwa, wie man einen abgetrennten Finger am besten aufbewahrt, um ihn später im Spital wieder angenäht zu bekommen: „Steril verpacken, am besten mit einer Aluderm-Wundauflage aus dem Verbandskasten. Das dann in einen Plastikhandschuh stecken und dieses Packerl mit ein, zwei Eiswürfel im zweiten Handschuh verschnüren.“ Nachsatz: „Aber legt den Finger bitte nicht wie im Film direkt aufs Eis einer Fischtheke. Diese Kälte halten die Gefäße nicht aus.“

Gebrochene Rippen? Egal!

Bei der Ersten Hilfe geht es darum, erkrankte oder verletzte Personen so lange zu betreuen (auch durch psychischen Beistand), bis das alarmierte Rettungsteam eintrifft und mit der professionellen Versorgung beginnt. „Wir können nur versuchen, bereits eingetretene Schäden so gering wie möglich zu halten. Je rascher wir eingreifen, umso besser können wir die Lebensqualität des betroffenen Menschen sichern.“ Oder vielleicht sogar überhaupt dessen Zukunft, sagt Martin. „Statistisch gesehen sinkt die Überlebenschance bei Herz-Kreislauf-Problemen pro Minute um etwa zehn Prozent.“

Über allen Entscheidungen steht deshalb eine simple Überlegung: „Leben über Tod! Ja, ihr könnt einem Menschen beim Versuch, ihn zu reanimieren, die Rippen brechen. Aber darum können sich die Ärzte hinterher im Spital immer noch kümmern. Aber wenn dieser Mensch stirbt, helfen ihm intakte Rippen auch nicht mehr.“ Wichtig ist Martin deshalb von Anfang an, den Kursteilnehmer:innen die Angst davor zu nehmen, sich im Notfall rasch als Ersthelfer:in zu engagieren: „Alles ist besser, als nicht einzugreifen. Ihr könnt im Prinzip nichts falsch machen. Falsch wäre nur, gar nichts zu tun.“

Der Respekt wächst

Erste Hilfe muss sehr oft im persönlichen Umfeld geleistet werden, also in der Familie oder im Freundeskreis, denn 75 Prozent aller Unfälle passieren zu Hause. Entscheidend ist, sagt Martin immer wieder, die Rettungskette möglichst rasch in Gang zu setzen - unter Beachtung des Eigenschutzes die Stelle, an der sich das Opfer befindet, abzusichern, die Rettung unter der Nummer 144 zu alarmieren (und, falls möglich, eine:n weitere:n Helfer:in den nächstgelegenen Defibrillator holen schicken) und dann erste Hilfsmaßnahmen zu treffen. Dazu zählen einfache, aber effektive Aktionen – „die einem auch der Hausverstand sagt“, erklärt Martin. Etwa, in geschlossenen Räumen für Frischluftzufuhr zu sorgen und die Körpertemperatur betroffener Personen möglichst warm zu halten, zum Beispiel mit der Rettungsdecke aus dem Verbandskasten.

Bei der nächsten praktischen Übung, nämlich wie man eine reglos am Boden liegende Person in die stabile Seitenlage dreht, kommt eben diese hauchdünne Metallfolie zum Einsatz. Und ja: Selbst bei den ohnehin sommerlichen Temperaturen im Raum merkt man, wie es dank der reflektierten Körperwärme unter der Rettungsdecke sofort wärmer wird. Kann ich bitte ein Glas Wasser haben? Und bitte auch eines für meine Übungspartnerin Katarina, die sich abmüht, meinen gut 80 Kilo schweren Körper hin- und herzuwälzen und die hinterher sagt: „Jetzt ist mein Respekt vor Pflegekräften und dem Krankenhaus-Personal noch viel größer, die den ganzen Tag Patientinnen und Patienten umbetten müssen.“

Atemlos am Highway to Hell

Martin nimmt sich Zeit, die richtigen Notfallmaßnahmen wiederholt anzusprechen und in die praktischen Übungen einzubauen („Und jetzt rufen wir 144 an!“). Auch der Notfallcheck wird mehrmals geübt: reglose Personen ansprechen, sanft bei den Schultern schütteln – und bei Bedarf die Rettung („144!“) anrufen. Bis zu deren Eintreffen vergehen unweigerlich wertvolle Minuten, sagt Martin, und die gilt, es effektiv zu nutzen: Wir lernen, wie wir die Atmung überprüfen, indem wir den Kopf des Opfers gezielt überstrecken, zehn Sekunden lang die Atemzüge zählen und danach notfalls mit Herzdruckmassage beginnen.

An dieser Stelle wird es laut im Saal. Denn um das richtige Tempo dieses Reanimationsversuches vorzugeben, das pro Minute bei 100 bis 120 druckvollen Bewegungen mit der Kraft aus dem gesamten Oberkörper liegt, spielt Martin die passende Musik ab. Überraschenderweise – und auch ein bisschen makaber – gibt Helene Fischers „Atemlos durch die Nacht“ ebenso den richtigen Rhythmus vor wie „Stayin‘ Alive“ von den Bee Gees und AC/DCs „Highway to Hell“ …

Die richtige Anwendung eines Defibrillators.

Spaß mit dem Spucki

Und weil wir gerade bei makabren Details sind: Martin erzählt, dass das Gesicht der Plastikpuppe, an der wir die Herzdruckmassage üben und die eigentlich nur aus einem Oberkörper mit Hals und Kopf besteht, nach einem legendären Vorbild modelliert wurde: Es zeigt die friedlich wirkenden Züge der „Unbekannten aus der Seine“, einer Wasserleiche, die im Jahr 1900 in Paris aus der Seine gezogen worden war und deren Totenmaske zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein beliebter Einrichtungsgegenstand in französischen Künstlerhaushalten waren …

Einen Lacher erntet Martin mit der Antwort auf die Frage, wie denn diese eigenartige Umschnall-Weste heißt, mit der wir das Heimlich-Manöver üben. Diese beherzte Kombination aus Schlägen zwischen die Schulterblätter und druckvoller Kompression des Bauchraums soll Fremdkörper aus der Luftröhre herausschleudern – im Kurs symbolisiert durch ein Stück Schaumgummi, das schwungvoll durch den Raum fliegt: „Naja, offiziell heißt dieses Ding Heimlich-Simulator – aber wir sagen intern ‚Spucki‘ dazu …“

Lebensrettendes Wissen

Der 16-stündige Grundkurs, der auch als Ausbildung für betriebliche Ersthelfer:innen zählt, bietet einen kompakten Überblick über den Umgang mit medizinischen Notfällen. Leider ist die umfangreich mit Übungsszenarien ausgestatte SanArena im Keller zu diesem Zeitpunkt (Mitte Juli 2023) wegen eines Wasserschadens gerade gesperrt, und wir können deshalb nicht im spektakulären Umkehr-Simulatorausprobieren, wie man kopfüber aus einem am Dach liegenden Auto entkommt. Aber wir dürfen einen (Simulations-)Defibrillator benutzen, üben den Rautekgriff und andere Techniken reglose Menschen aus eigener Kraft rasch und effizient aus Gefahrenzonenevakuieren und lernen, wie man verunfallten Motorradfahrer:innen korrekt den Sturzhelm abnimmt.

Martin Zeller führt mit großem Geschick und Einfühlungsvermögen durch den Kurs. Er lobt und motiviert uns. Hin und wieder korrigiert er vorsichtig unsere Körperhaltung bei Übungen und gibt wertvolle Tipps, etwa beim Helmabnehmen: „Lass dich nicht überraschen: So ein Kopf wiegt gute zehn Kilo. Stabilisiere ihn, damit er dir nicht aus der Hand fällt.“ Mein eigener Kopf ist am Ende der 16 Stunden voll mit wertvollen, neuen und möglicherweise lebensrettenden Informationen. Ich hoffe, dass ich dieses Wissen niemals anwenden muss. Und wenn doch: Ich werde mich im Notfall sicherer und selbstbewusster fühlen als vor dem Erste-Hilfe-Kurs – und danach vielleicht doch ein bisschen wie ein kleiner Held aus einem Hollywood-Film.

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