Wir sind da Ö Österreich
Brasilien - Mann auf überschwemmter Straße in einer Gemeinde in Dorado do Sul, Mai 2024

„Ja, früher war es auch heiß...”

Die Klimakrise und die daraus resultierenden Wetterextreme stellen Hilfsorganisationen vor wachsende Herausforderungen. Die Meteorologin und Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb warnt vor drastischen Entwicklungen und mahnt zu konsequentem Handeln. Getreu dem Titel ihres aktuellen Buches „Für Pessimismus ist es zu spät“. 

Portrait von Helga Kromp-Kolb
Expertin Helga Kromp-Kolb

Antizipation statt Reaktion! Mit dem Konzept der „vorausschauenden humanitären Hilfe“ reagieren das Rote Kreuz und der Rote Halbmond seit 2014 auf eine stetig steigende Zahl an Extremwetterereignissen. Denn gerade bei Katastrophen wie Überschwemmungen, Wirbelstürmen, Dürren sowie Hitze- oder Kältewellen können Menschen in den betroffenen Gebieten vorzeitig – und damit oftmals rechtzeitig – gewarnt und gerettet werden. Große Verantwortung kommt bei diesem internationalen Ansatz Wissenschaftler:innen, speziell Meteorolog:innen, wie Helga Kromp-Kolb zu: „Wir müssen uns darauf einstellen, dass es in Zukunft mehr Einsätze geben wird – auch in Gebieten, in denen bisher keine Extremereignisse zu erwarten waren.“  

Komplexe Herausforderungen 
Helga Kromp-Kolb, Jahrgang 1948, ist Meteorologin und Klimaforscherin. Die gebürtige Wienerin ist Trägerin des „Großen Silbernen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich“. 2005 wurde sie zu Österreichs Wissenschaftlerin des Jahres gekürt, 2023 erhielt sie den „Preis der Stadt Wien für Naturwissenschaften“. Obwohl emeritiert, hält die Universitätsprofessorin nach wie vor zwei Seminare pro Jahr an der BOKU, der Wiener Universität für Bodenkultur. 

In ihrem aktuellen Buch „Für Pessimismus ist es zu spät“ fasst sie die komplexen Herausforderungen zusammen, mit denen sich die Menschheit gegenwärtig konfrontiert sieht: „Wir stehen an einem Scheideweg. Der eine, bequeme Pfad des Augenverschließens führt nach heutigen Erkenntnissen unvermeidlich Schritt für Schritt in eine zwar in Eckpunkten beschreibbare, aber nicht wirklich vorstellbare Katastrophe. Der andere, sehr herausfordernde, aber auch spannende Weg kann eine bessere Welt herbeiführen. Ich bekenne freimütig, dass es keine Wahl gibt. Die Katastrophe kann sich niemand wünschen.“ 

Temperaturen werden zunehmend lebensbedrohlich 

Bild von ausgetrocknetem Boden in Simbabwe
Waldbrand in Griechenland Juli 2023

Meteorologie ist die Lehre von den physikalischen und chemischen Erscheinungen und Vorgängen in der Atmosphäre sowie deren Wechselwirkungen mit der Erdoberfläche. „Wir beschäftigen uns unter anderem mit der Wetterkunde“, erklärt Helga Kromp-Kolb kurz jenen Teil ihrer Arbeit, der für das Rote Kreuz von großem Interesse ist: „Anhand verschiedener Messdaten können wir Vorhersagen treffen, wie sich das Wetter in einer bestimmten Region entwickeln wird. Und damit können wir Hilfsorganisationen konkrete Hinweise geben, wann und wo es zu wetterbedingten Katastrophen kommen könnte.“ 

Zu den vorhersehbaren Katastrophen zählen Überschwemmungen, Wirbelstürme, aber auch Hitze- und Kältewellen: „Gerade Wetterwissenschaftler:innen sind global sehr gut vernetzt und arbeiten eng zusammen – weil wir alle aufeinander und die Daten aus anderen Ländern angewiesen sind. Das heißt, wir haben einen guten Überblick über großräumige Entwicklungen.“  

Dass die Herausforderungen für das Rote Kreuz global ständig ansteigen, liegt für Helga Kromp-Kolb dabei auf der Hand: „Wir sehen, dass das Ausmaß von Extremwettersituationen größer wird. Ja, früher war es auch heiß. Aber damit konnten die Menschen umgehen, die Hitze war vielleicht nicht immer angenehm. Jetzt werden die Temperaturen in zunehmendem Maße lebensbedrohlich. In immer größeren Teilen der Welt wird es Jahreszeiten geben, in denen die Hitze so groß wird, dass sich die Menschen nicht mehr selbst helfen und dort nicht mehr leben können.“ 

Ein paar Tage Vorsprung 
Exakte Voraussagen von Extremereignissen sind aus meteorologischer Sicht zwar nicht immer möglich, können eine vorausschauende humanitäre Hilfe aber dennoch entscheidend beeinflussen: „Überflutungen nach gewitterartigen Wolkenbrüchen können wir kaum rechtzeitig lokalisieren. Aber bei drohenden Hochwässern haben wir oft mehrere Tage Zeit, weil sich speziell bei längeren Flüssen leichter erkennen lässt, welche Wassermengen sich den Fluss hinab bewegen.“ 

Hitzewellen (und auch Kältewellen) können ebenfalls mit einer gewissen Sicherheit vorhergesagt werden. Und das gibt dem Roten Kreuz wiederum einen gewissen Vorsprung, um effektive Maßnahmen zu planen – etwa vulnerable Menschen rechtzeitig mit Trinkwasser zu versorgen oder Viehherden in (schattige) Sicherheit zu bringen. „Es gibt aber Katastrophen, die sich schleichend einstellen, etwa Dürreperioden. Da können wir anhand unserer Messdaten zumindest versuchen herauszufinden, wie lange diese Phasen möglicherweise andauern. Und ob die Natur den folgenden Regen dann verkraften kann oder ob gleich die nächste Katastrophe, etwa eine Sintflut, folgt …“ 

Nah dran an den Menschen 

Griechenland - Rotkreuz Helferinnen verteilen Wasser in der Hitze
Rotkreuz Helferinnen waten durch überflutete Felder in Kenia

Rotkreuz- und Rothalbmond-Organisationen und Meteorolog:innen sind deshalb ideale Kooperationspartner, sagt Helga Kromp-Kolb: „Gerade, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so nah an den Menschen dran sind, können sie die Informationen rasch verbreiten und vorausschauende Maßnahmen ergreifen.“ Darüber hinaus komme dem Roten Kreuz eine wichtige, eine grundlegende Aufgabe zu: „Wenn wir von antizipativer humanitärer Hilfe sprechen, dann sprechen wir von einem umfangreichen Set an Maßnahmen, die gesetzt werden können.“  

Zum Beispiel Baumpflanzungen zum Schutz vor erodierenden Böden, die Erschließung von Trinkwasserquellen, die auch nach Wirbelstürmen nutzbar sind, oder biologische Dünger, die eine nachhaltige Landwirtschaft fördern: „Es geht darum, Menschen resilienter zu machen und auf Extremwettereignisse vorzubereiten. Das Rote Kreuz kann nicht nur informieren, sondern wirklich Veränderungen bewirken. Denn für jemanden, von dem ich weiß, dass er mir in der Not hilft, habe ich eher ein Ohr als für jemand anderen, der mit irgendwelchen abstrakten Forderungen daherkommt.“ 

Harte Risikoanalysen 
Unabhängig von tagesaktuellen Einsätzen sei es für das Rote Kreuz unerlässlich, selbst allerlei Zukunftsszenarien und Risikoanalysen zu erstellen, um gegebenenfalls rasch die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Speziell, wenn es um vorausschauende humanitäre Hilfe geht, sagt Helga Kromp-Kolb: „Dazu braucht es aber nicht nur Klimaforscher:innen und Meteorolog:innen, sondern auch die Zusammenarbeit mit Sozialwissenschaftler:innen. Wir müssen uns unter anderem die Frage stellen, wie die Gesellschaft auf den Klimawandel reagieren wird. Was bedeutet es zum Beispiel, wenn Millionen von Menschen klimabedingt ihre Heimat verlassen müssen?“ 

Eine Entwicklung übrigens, die kurz bis mittelfristig unabwendbar ist, wie Helga Kromp-Kolb in ihrem Buch „Für Pessimismus ist es zu spät“ beschreibt: Selbst „eine starke Verringerung der Treibhausemissionen würde den Klimawandel begrenzen, aber es könnte 20 bis 30 Jahre dauern, bis sich das Klima stabilisiert.“ Auch der Temperaturanstieg der jüngeren Vergangenheit lasse keine anderen Schlüsse zu. Denn gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter (per Definition des IPCC, des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen, der Zeitraum von 1850 bis 1900) ist die globale Durchschnittstemperatur bereits um 1,2 Grad Celsius gestiegen: „Die zehn wärmsten Jahre der Messgeschichte sind in den letzten 16 Jahre aufgetreten …“ 

Was ist uns wichtig? 

Die Fragen, die sich die Gesellschaft, die Politik und eben auch Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz deshalb stellen müssen, sind hart und schonungslos: „Uns allen muss bewusst sein, dass wir in Zukunft ein anderes Leben führen werden. Wir müssen uns überlegen, was uns wirklich wichtig ist, wenn wir nur noch den halben Energie- und Ressourcenverbrauch zur Verfügung haben. Und damit automatisch: Was lassen wir los? Worauf werden wir verzichten müssen?“ 

Aus Sicht der Wissenschaft führt etwa der Anstieg des Meeresspiegels zu massiven Veränderungen in Küstenregionen – wo heute rund 130 Millionenstädte angesiedelt sind. „Wir wissen, dass wir viele dieser Städte nicht halten werden können. Die Frage ist: Wie bereiten wir die Menschen darauf vor?“  

Eine andere Frage betrifft im schlimmsten Fall sogar die grundsätzliche Ausrichtung des Roten Kreuzes: „Können wir weiterhin die vulnerabelsten Gruppen beschützen oder nur noch jene Menschen, die größere Chancen zur Anpassung und damit zum Überleben haben? Ich habe selbst keine Antwort auf diese Frage – aber so extremen Überlegungen müssen wir uns stellen.“ 

Am Highway zur Klimahölle 
Dass man die Gefahren des Klimawandels nicht hoch genug einschätzen kann, zeigen drastische Wortmeldungen aus der jüngeren Vergangenheit. Etwa von UN-Generalsekretär António Guterres: „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle – mit dem Fuß auf dem Gaspedal.“ Und der damalige US-Präsident Barack Obama sagte schon 2015: „Wir sind nicht die letzte Generation, die den Klimawandel erleben wird, aber wir sind die letzte Generation, die etwas gegen den Klimawandel tun kann“ 

Und hier kommen für Helga Kromp-Kolb auch wieder internationale Hilfsorganisationen und ihre globalen Netzwerke ins Spiel: „In einer idealen Welt bräuchte man ein Rotes Kreuz ja überhaupt nicht. Davon sind wir aber weit entfernt.“ Als einen möglichen Aspekt vorausschauender humanitärer Hilfe sieht sie deshalb den direkten Kontakt zur Politik: „Gerade durch seine Neutralität ist das Rote Kreuz so glaubwürdig. Und deshalb könnte es versuchen, auf politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger einzuwirken und zumindest notwendige Anpassungsmaßnahmen fordern.“ 

Wir sind Teil der Lösung 

Rotkreuz Helferinnen gehen durch überflutete Straße in Brasilien

Bei allen Hilfestellungen, die die Meteorologie und die Klimaforschung leisten können, warnt Helga Kromp-Kolb vor überzogenen Hoffnungen in die Wissenschaft und die Technik: „Es muss uns klar sein, dass es letztendlich keinen absoluten Schutz geben kann. Egal, wie viel Geld und egal, wie viel Aufwand wir investieren: Die Natur wird uns immer wieder überraschen. Sie wird uns immer wieder zeigen, dass sie stärker ist als alles, was wir machen können.“ Natürlich spreche nichts dagegen, sich bestmöglich zu schützen, aber: „Die Vorstellung, dass wir technologisch alle Probleme in den Griff bekommen könnten, ist ein Irrglaube. Das muss man ganz deutlich sagen.“ 

Die Zeit zu handeln, sei jetzt, sagt Helga Kromp-Kolb, die ihrem Buch „Für Pessimismus ist es zu spät“ bewusst den hoffnungsvollen Untertitel „Wir sind Teil der Lösung“ beigestellt hat. „Noch sind wir nicht gescheitert. Wir könnten mit den notwendigen Veränderungen in unserer Gesellschaft so viele Missstände beseitigen und gleichzeitig das Klima schützen. Leider wird das Thema nur als Verzichtsagenda diskutiert.“ Und das sei der falsche Ansatz: „Wir brauchen ein neues Denken, denn es geht nicht darum, warum etwas nicht funktioniert, sondern was wir tun können, damit notwendige Änderungen funktionieren und unser Leben verbessern.“ 

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