Energie, sagt Imre Siska, ist kein Luxusgut. „Energie ist in unserer digitalisierten Welt ein Muss.“ Umso besorgniserregender ist die aktuelle Entwicklung, weiß der Leiter der Individuellen Spontanhilfe (ISH) im Roten Kreuz: Steigende Strom- und Heizungskosten führen bei immer mehr Menschen zu Existenzängsten. „Wir alle müssen uns die Bedeutung des Themas Energiesicherheit bewusst machen: Wenn du keinen Zugang zu Energie mehr hast und zum Beispiel dein Handy nicht mehr laden kannst, verlierst du deine Teilhabe am Sozialleben und damit an der Gesellschaft.”
Es kann jede:n treffen
Imre Siska, 44, hat Rechtswissenschaften und Internationale Angelegenheiten studiert. 2008 ist der gebürtige Ungar nach Wien übersiedelt – um beim Roten Kreuz seiner Bestimmung zu folgen. Hilfe und Solidarität seien für eine funktionierende, kompakte Gesellschaft nämlich entscheidend: „Wir dürfen Armut nicht stigmatisieren. In eine finanziell prekäre Situation kann heute praktisch jeder Mensch unverschuldet geraten – dafür muss sich niemand schämen.“
Imre Siska ist selbst Vater zweier Kinder. „Ich kann mir vorstellen, wie brutal es sein muss, wenn man nicht mehr für seine Familie sorgen kann. Und wie viel Überwindung es kosten muss, sich an eine Beratungsstelle zu wenden und um Hilfe zu bitten.“ Seine Beratungsgespräche führt er mit der gebotenen Empathie – „aber radikal lösungsorientiert. Meine Aufgabe ist es herauszufinden, in welche Richtung wir gehen müssen, um ein Problem nicht nur akut, sondern im Optimalfall so zu lösen, dass es nicht im nächsten Monat wieder auftaucht.“

Individuelle Spontanhilfe
Die Individuelle Spontanhilfe des Roten Kreuzes sucht nach maßgeschneiderten Lösungen in existenzbedrohenden Lebenssituationen. Für Imre Siska und sein Team eine große Aufgabe: Es geht um die Menschenwürde!


Kampf um Menschenwürde
Das Hauptaugenmerk der ISH liegt auf existenziellen Problemen, die speziell durch Rückstände bei Mieten und Energierechnungen auftreten. Imre Siska bekümmert vor allem ein Zustand, den er „Energiearmut“ nennt und von dem mehrheitlich Alleinverdiener:innen und Alleinerzieher:innen (und hier tatsächlich in erster Linie Frauen) betroffen sind: „Wir sprechen von armutsgefährdeten Haushalten, für die es schwierig oder gar unmöglich ist, grundlegende Energiedienstleistungen in Konkurrenz mit anderen zentralen Ausgaben abzudecken.“
Anders als eine Delogierung lassen sich Probleme mit Strom- oder Heizkosten nämlich lange Zeit nach außen hin verheimlichen, weiß Imre Siska. „Oft kommen Menschen zu uns, die bereits seit Jahren nicht mehr heizen können. Das führt – neben vielen anderen, auch zu gesundheitlichen Problemen – dazu, dass sie sich schämen, Freunde oder Verwandte zu sich nach Hause einzuladen. Es geht bei unserer Arbeit also um nicht weniger als die Existenzsicherung – und um die Menschenwürde.“
Einmalige Hilfsangebote
Die ISH nutzt verschiedene Wege, um rasch und individuell zu helfen. Möglich ist das dem ISH nicht zuletzt dank zahlreicher Unterstützer. Speziell eingerichtete Fonds, wie etwa jene von der Firma Penny oder der Borealis AG, helfen Menschen in finanziellen Notlagen einmalig und unbar und schenken somit neue Hoffnungen und bieten Überbrückungshilfen. Im Rahmen des Projekts „Wohnschirm“ in Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium kann die Unterstützung auch in Form einer direkten Überweisung an Gläubiger bei offenen Energierechnungen erfolgen.
Ein wesentlicher Baustein des ISH-Angebots sind die „Energietage“, ein gemeinsames Pilotprojekt mit der Wien Energie: Jeden zweiten Montag kommen Expert:innen aus der Ombudsstelle des Energieversorgers in die Beratungsstelle im 4. Wiener Gemeindebezirk: „Dann können wir gemeinsam auf Probleme reagieren und zum Beispiel einen Mahnstopp oder neue, leistbare Ratenzahlungen vereinbaren.“
Vernetzung auf allen Ebenen
Im Hintergrund geht es Imre Siska nicht nur um individuelle Hilfe, sondern um strukturelle Entwicklungen: „Gerade in Wien gibt es ein dichtes Netz an Hilfsorganisation und Vereinen. Aber es benötigt noch viel stärkeres gegenseitiges Verständnis aller handelnden Akteure, also auch aufseiten der Energieanbieter und der E-Control.“
Aus praktischer Sicht wäre es am wichtigsten, dass andere Energieversorger dem Vorbild der Wien Energie folgen und eine eigene Hotline für NGOs einrichten: „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Auskunft müssen nicht wissen, was es bedeutet, wenn ein Kunde in Mindestsicherung ist. Aber wir brauchen Ansprechpartner, die wir nicht nur rasch erreichen können, sondern die auch individuelle Lösungen anbieten können.“ Denn Imre Siska und die Individuelle Spontanhilfe haben einen klaren Auftrag: „Wir helfen Menschen, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Denn das ist die Grundlage unserer Gesellschaft – und damit unserer Demokratie.“
Die Arbeit von Imre Siska und seinem Team bei der Individuellen Spontanhilfe lebt von Ihren Spenden.