Dafür, dass sich gerade 22 Kinder zwischen sechs und zehn Jahren in dem früheren Geschäftslokal im 15. Wiener Gemeindebezirk aufhalten, ist es erstaunlich ruhig. Aber das Lernhaus ist ja, wie der Name nahelegt, kein Spielplatz. Sondern ein Ort, an dem sich Kinder nach der Schule in Kleinstgruppen mit aktuellen Lerninhalten beschäftigen oder hochkonzentriert ihre Hausaufgaben lösen: „Aber keine Sorge“, sagt Projektleiterin Andrea Kotorman mit einem verständnisvollen Lachen, „natürlich toben sie sich zwischendurch in unserem Spielzimmer auch so richtig aus.“
Hilfe das ganze Jahr hindurch
Im Lernhaus werden zwei Gruppen von Kindern von ausgebildeten Pädagoginnen und Pädagogen sowie einer Vielzahl freiwilliger Helfer betreut, erklärt Andrea Kotorman: „Am Nachmittag sind es diese 22 Volksschulkinder, ab 17 Uhr kommen dann fast 40 Burschen und Mädchen bis 15 Jahren, die bereits eine Neue Mittelschule besuchen.“
In der Regel beginnt die – kostenlose – außerschulische Lernhilfe mit der 1. Klasse Volksschule und endet mit dem Abschluss der Schulpflicht. „Wir bieten aber keine punktuelle Betreuung, etwa Nachhilfe vor einer Schularbeit, an. Die Kinder werden von ihren Eltern für das ganze Schuljahr angemeldet und kommen regelmäßig zu uns ins Lernhaus.“ Wobei die Location ums Eck des belebten und beliebten Schwendermarktes nicht zufällig gewählt ist, sagt Andrea Kotorman: „Wir wissen, dass der 15. Bezirk jener Bezirk in Wien mit der geringsten Kaufkraft ist und der Bedarf deshalb hier am höchsten ist.“
Bildungschance für alle
Die Geschichte des Lernhauses, eine Kooperation mit der Tageszeitung Kurier (die auch als Medienpartner fungiert), begann im Jahr 2011. Nach dem verheerenden Tsunami im Jahr 2004, bei dem in Asien mehr als 230.000 Menschen getötet wurden, gab es eine ausgedehnte Spendenaktion namens „Kurier Aid Austria“, erinnert sich Andrea Kotorman: „Am Ende sind Gelder übriggeblieben und die Verantwortlichen wollten sie in ein neues Bildungsprojekt für Kinder fließen lassen, die diese Unterstützung am dringendsten brauchen.“
Ziel war es von Anfang an, wirtschaftlich benachteiligten Kindern eine Chance auf Bildung zu ermöglichen und ihnen – unabhängig von ihrer Herkunft – ein sicheres Fundament für eine selbstbestimmte Zukunft zu geben. „Wir schauen nicht auf den Lohnzettel der Eltern“, sagt Andrea Kotorman. „Aber wir wissen natürlich, dass es gerade für Familien mit mehreren Kindern oft nicht leicht ist, für alle die notwendigen Voraussetzungen für optimale Bildungschancen zu schaffen. Und wir wissen, dass niemand, der sich eine teure Privatschule leisten kann, sein Kind zu uns schicken wird.“
Es geht – auch – um Integration
Der Trägerverein, der vom Kurier und dem Österreichischen Roten Kreuz gemeinsam gegründet wurde, ist privatfinanziert und auf Spenden angewiesen: „Dass es das Lernhaus mittlerweile seit 12 Jahren gibt, zeigt, wie groß der Bedarf ist. Wir gehen nicht bewusst auf Kinder oder Eltern zu und sagen: ‚Kommt zu uns!‘ Trotzdem ist die Nachfrage so groß, dass die Warteliste jedes Jahr länger wird. Nicht zuletzt, weil man uns in den umliegenden Schulen kennt und schätzt und immer wieder Kindern mit Lerndefiziten empfiehlt, zu uns zu gehen.“
Bei der Auswahl der Kinder, die das Programm in Anspruch nehmen können, folgen Andrea Kotorman und ihr Team menschlichen Kriterien: „Wir suchen eine gute Mischung und wollen jede Form von Gruppenbildung vermeiden. Wir achten also darauf, dass wir Kinder aus verschiedenen Herkunftsländern versammeln. Und dass die Zahl der Mädchen und Buben ausgewogen ist. Letztendlich sollen sich alle bei uns wohlfühlen.“ Dass im Lernhaus Wien aktuell ausschließlich Kinder mit Migrationshintergrund betreut werden, folgt allerdings keinem grundsätzlichen Plan, sagt Andrea Kotorman: „Aber natürlich spielt gerade die soziale Integration eine große Rolle bei uns.“