Ein Dach über dem Kopf. Ein Bett und eine weiche, warme Decke. Eine Tür, die man hinter sich schließen kann. Was für die meisten Menschen eine vollkommene Normalität darstellt, ist für Wohnungslose oft ein unerreichbar scheinender Luxus. Mit Einrichtungen wie dem Chancenhaus Hermes schafft das Rote Kreuz eine zeitlich begrenzte Unterkunft für den Übergang, ehe Menschen wieder ganz auf eigenen Beinen stehen können. „Es gibt eine Phase der Notversorgung, eine Phase der Festigung und eine Phase des Fortkommens“, sagt Chancenhaus-Leiter Andreas Stein. „Wenn Menschen danach wieder in die Gesellschaft integriert werden und in eine selbstbestimmte Wohnform ziehen können, ist das ein riesiger Erfolg für uns.“
Das Chancenhaus Hermes im 3. Wiener Gemeindebezirk ist eine Einrichtung der Wohnungslosenhilfe des Wiener Roten Kreuzes. „Und dementsprechend wichtig sind uns die Grundsätze des Roten Kreuzes, allen voran jener der Menschlichkeit“, sagt Andreas Stein. Das Haus, das vom Fonds Soziales Wien gefördert wird, öffnete seine Türen im Oktober 2018 – nach einer gründlichen Renovierung. Denn davor, erinnert sich Andreas Stein, war in dem Areal eine Notschlafstelle untergebracht. „Ich habe diese Einrichtung damals auch schon geleitet und war in die Umgestaltung involviert. Die Situation in diesem Notquartier war früher nicht optimal – und das nicht nur, weil die Menschen damals in Stockbetten in Vier-Bett- oder Sechs-Bett-Zimmern schlafen mussten.“
Endlich zur Ruhe kommen
Hinter der Modernisierung steht ein Paradigmenwechsel in der Betreuung von Wohnungslosen, sagt Andreas Stein: „Wir sind damit einem skandinavischen Model gefolgt, ‚housing first‘: Wohnungslose Menschen sollten – wenn überhaupt – nur noch möglichst kurz in Obdachlosen-Einrichtungen unterkommen. Aber eigentlich sollten sie möglichst rasch in eigene Wohnungen kommen.“ Die Nachteile einer Notschlafstelle, die nur nachts geöffnet ist, waren deutlich erkennbar: „Die Menschen mussten in der Früh das Haus verlassen und sich die Zeit in der Stadt vertreiben. Manche hielten sich in Tageszentren auf, andere sind mit den Öffis herumgefahren. Man kann sich vorstellen, wie erschöpft die Menschen waren, wenn sie erst am Abend wieder zu uns kommen konnten. Das am Tag Erlebte musste verarbeitet werden, was zu vielen Konflikten führte. Daher herrschte am Abend oft große Unruhe.“
Umso erfreulicher war aus seiner Sicht, dass die Idee des rund um die Uhr geöffneten Chancenhauses sofort eine beruhigende Wirkung gezeigt hat: „Vom ersten Tag an war alles anders. Die Menschen sind im wahrsten Sinn des Wortes zur Ruhe gekommen. Heute haben wir in jedem unserer acht Flure eine Wohnküche und ein Badezimmer, in dem die Intimsphäre garantiert werden kann.“
Die geringere Belegung und bessere Ausstattung hat großen Einfluss auf das Verhalten der Klient:innen und ihre Wahrnehmung der Umgebung: „Sie lassen sich nicht gehen, sondern kümmern sich um ihre Räume, sie pflegen ihren Wohnbereich.“ Vor allem können die Sozialarbeiter und Betreuer nun die Klienten und Klientinnen besser erreichen, um mit ihnen an der weiteren Wohnperspektive zu arbeiten, sagt Andreas Stein. „Am Abend war mit den Menschen nicht mehr viel anzufangen, nun können wir ihnen besser helfen. Auch haben sie die Möglichkeit, sich tagsüber um sich selbst zu kümmern, beispielsweise in dem sie unsere medizinischen und pflegerischen Angebote im Haus aufsuchen.“