In jedem Job hat man selbstverständlich Urlaub, warum nicht auch Urlaub von der Pflege?
Angehörige und Freunde sind der „größte Pflegedienst“ in Österreich. Sie arbeiten rund um die Uhr, auch am Sonntag, auch am Feiertag, das wird erwartet und erspart dem Staat massive Kosten. Es geht nicht nur um die zwei, drei Wochen Urlaub, die man vielleicht irgendwie organisieren kann, sondern besonders um die restlichen 50 Wochen! Wir müssen die Situation der pflegenden Angehörigen verbessern und denen eine Stimme geben, die nicht gehört werden. Ihre Tätigkeit ist nicht selbstverständlich.
Sie sind also die „Stimme der pflegenden Angehörigen?“ Wir wird man dazu?
Ich habe mich immer schon für den Bereich Pflege interessiert und wollte wie meine Mutter Krankenschwester werden. Sie hat mir zwar stark abgeraten, doch ich habe dann mein ganzes Berufsleben in sozialen Berufen verbracht und engagiere mich seit meiner Pensionierung freiwillig. Jemand muss den pflegenden Angehörigen zuhören, Forderungen erarbeiten und die Politik auch mit unangenehmen Fakten konfrontieren.
Warum können die pflegenden Angehörigen das nicht selbst tun?
Diese Menschen sind mit der Pflege und Betreuung und dem Überwinden bürokratischer Hürden so beschäftigt, dass sie gar nicht bis zu den Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern vordringen können. Es ist aber kein individuelles Problem, sondern ein Problem der Gesellschaft. Es gibt viele Lösungsansätze. In Dänemark zum Beispiel zahlen alle höhere Steuern, damit im Pflegefall Profis übernehmen können, und niemand dafür aus dem Arbeitsmarkt ausscheidet. Egal, welche Lösung man wählt: wir dürfen die zu Pflegenden und ihre Angehörigen und Zugehörigen nicht alleinelassen.
Fühlen Sie sich jetzt besser gehört als zu Beginn ihrer Präsidentschaft vor 13 Jahren?
Wir trommeln die Botschaft seit mehr als zehn Jahren und jetzt erst ist das Thema in aller Munde – möglicherweise auch, weil ein Wahljahr vor der Tür steht, oder weil geburtenstarke Jahrgänge in das Alter kommen, in dem man beginnt, konkret über Älterwerden und Pflege nachzudenken. Immerhin hat es dazu geführt, dass wir unsere Forderungen bei zahlreichen Veranstaltungen und vor dem Parlament stellen konnten.
Warum können wir nicht weitermachen wie bisher?
Das Modell der Familie - und da meist die Frauen -, die automatisch als Pflegedienst zur Verfügung stehen - und das auch noch in einem gemeinsamen Haushalt, damit Fördergelder fließen - das entspricht nicht mehr unserer Lebensrealität. Ob Angehörige, Freunde oder einfach nur Bekannte, die betreuen: Allen steht niederschwellige Beratung und eine durchgängige Begleitung auf dem Pfad der Betreuung zu – das heißt zum Beispiel ein „Pflegetelefon“, bei dem man ganz einfach Infos zum Angebot in der eigenen Umgebung bekommt, oder Pflegekarenz bzw. ein Einkommensersatz für diejenigen, die pflegen und daher ihrem Job nicht nachgehen können.
Kann 24-Stunden-Betreuung die nötige Entlastung bringen?
Auch hier ist es schwer, im Dschungel der Angebote das passende zu finden. Es gibt 800 Pflegeagenturen und nur 35 sind zertifiziert. Es wird oft nicht differenziert zwischen Unterstützung im Haushalt, Besuchsdienst, Alltagsbegleitung und tatsächlicher Pflege. Der Zustand des zu pflegenden Angehörigen und der Bedarf kann sich zudem rasch verändern.
Was tun, wenn es allein nicht mehr geht?
Man muss die Situation analysieren, den Bedarf erheben und dann die passende Unterstützung suchen und finden. Oft ist das auch eine Frage des Geldes - manche können bei Privatanbietern zukaufen, viele können sich das aber nicht leisten - und die dürfen wir nicht zurücklassen.
Im Idealfall gibt es eine Art „Familienrat“ mit allen Beteiligten - zum Beispiel noch vor der Entlassung nach einem Krankenhausaufenthalt. Und die pflegenden Angehörigen müssen darin bestärkt werden, auch gut auf sich selbst zu schauen.
Wann und wo können pflegende Angehörige Unterstützung bekommen?
Es ist wichtig, die eigenen Grenzen zu kennen und sich auch selbst Hilfsbedürftigkeit zu erlauben. „Das kann ich allein nicht mehr“ ist erlaubt. Hilfe anfordern sinnvoll. Und zwar rechtzeitig.
Die Interessengemeinschaft Pflegende Angehörige setzt sich für die Verbesserung der Lebenssituation pflegender Angehöriger ein. Infos und Tipps: www.ig-pflege.at