Wie weit unser Geschlecht Einfluss auf unsere Gesundheit hat, lesen Sie in der Langversion des Interviews mit der Rotkreuz-Chefärztin Dr. Katharina Pils.
Warum hat das Geschlecht Einfluss darauf, welche Erkrankungen im Lauf des Lebens auftreten oder auftreten können, aber auch, ob sie erkannt und wie sie behandelt werden?
Männer und Frauen sind unterschiedlich - auch in Bezug auf das Auftreten von Erkrankungen, deren Symptome und Verlauf. Hier spielen zwei grundsätzliche Faktoren eine Rolle: Sex – das körperliche Geschlecht und Gender - das soziale Geschlecht.
Das körperliche Geschlecht betrifft nicht nur die äußeren Geschlechtsorgane, sondern vor allem auch die Hormone und die von ihnen gesteuerten Abläufe im Körper. Die bekanntesten sind Östrogene, Progesteron und Testosteron. Diese beeinflussen viele Organsysteme und führen zu offensichtlichen Unterschieden zum Beispiel in Körpergröße, Muskelmasse und Kraft, sowie Fett- und Wasserverteilung oder Behaarung. Hormone beeinflussen aber auch die Funktion des Herz-Kreislaufsystems oder der Nieren. Das Geschlecht, der Hormonstatus, die Konstitution und die Lebensstilfaktoren beeinflussen also das Risiko für Erkrankungen wie etwa Tumorerkrankungen, Gefäßerkrankungen oder Osteoporose.
Und was versteht man unter dem sozialen Geschlecht?
Das soziale Geschlecht wird von sozialen und kulturellen Einflüssen geprägt. Viele von ihnen wirken schon in der Kindheit und Vorbilder spielen eine große Rolle. Die Körperwahrnehmung, das Erkennen von Veränderungen, aber auch die Kommunikation über diese Veränderungen werden davon beeinflusst.
Was bedeutet das in der Praxis?
Frauen reagieren anders als Männer auf Schmerz, Beklemmungsgefühl und Atemnot. Sie holen sich später Hilfe. Entsprechend einem traditionellen Frauenbild wurde das durch die geforderten Aufgaben wie Kinderbetreuung, Haushalt oder geringere Bildung noch weiter beeinflusst. Gleichzeitig konnte ein Forscherteam aus Yale auch zeigen, dass die Reaktion des medizinischen Personals auf Schmerzen bei Männern und Frauen unterschiedlich ist. Frauen werden als schmerzempfindlicher und depressiver wahrgenommen.
Gibt es so etwas wie männlichen oder weiblichen Lebensstil?
Das soziale Geschlecht beeinflusst auch Lebensstilfaktoren wie Rauchen, Essen, Genuss von Alkohol oder Drogen. Das trägt wesentlich zum Risiko für Gefäßerkrankungen, Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall bei. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich in Zentraleuropa die Lebenskonzepte und sozialen Rollen von Männern und Frauen zwar angenähert, es gibt aber nach wie vor geschlechtsbedingte Unterschiede.