Das erste Interview mit dem Corona-Virus nach fast zwei Jahren Pandemie. Martin Moder schlüpft für das Rote Kreuz in die Rolle des Virus und gibt die Antworten.
Seit beinahe zwei Jahren steckt die Welt in einer Pandemie. Warum tun Sie das?
Ich bin halt ein Virus. Ich hab im Prinzip nichts anderes gelernt als mich zu vermehren. Streng genommen kann ich nicht einmal das ordentlich, weil ich ja auf fremde Zellen angewiesen bin. Ich habe keinen Stoffwechsel, keine Atmung, Verdauung oder Sinneswahrnehmung. Das habe ich alles an die Zelle outgesourct.
Wie lebt es sich als kleiner hirnloser Zellpirat?
Es ist ein einfaches Leben, aber es ist ehrliche Arbeit. Niemand kann mir vorwerfen, dass ich etwas anderes tue als das, was man von mir erwartet.
Bis jetzt läuft es ja gut. Gibt Ihnen das ein Siegesgefühl?
Ja, mit Sicherheit. Der Vermehrungsdrang steckt in uns allen, aber der Unterschied ist, dass ich nebenbei nichts anderes mache. Ich konzentriere mich wirklich auf das Wesentliche. Wenn man an dem Punkt ist, wo jeden Tag alle über einen berichten, hat man schon etwas erreicht.
Ohne Fledermäuse hätten Sie überhaupt nichts erreicht. Oder stammen Sie aus dem Labor?
Unsereins kann direkt über einen Zwischenwirt auf den Menschen übergehen, theoretisch aber auch von einer Fledermaus über ein Zwischenlabor. Historisch kommt so etwas jedenfalls immer wieder vor, ganz ohne Labor. Ich bin nicht das erste Corona-Virus, das eine Pandemie verursacht.
Wir hatten 2002, 2003 die SARS-Pandemie, da ist das Virus über Schleichkatzen auf Menschen übergegangen, wir hatten das MERS-Corona-Virus, das bis heute gelegentlich überspringt, und bereits 1889 die sogenannte Russische Grippe, wo man heute die Kuh als Zwischenwirt vermutet.
Und wenn über Sie berichtet wird, dann negativ. An Ihren Spike-Proteinen klebt Blut. Sie sind ein Killer!
Das lasse ich mir ungern vorwerfen von einer Spezies, die gerade das sechste globale Massensterben verursacht. Da sollte man vor der eigenen Tür kehren. Ich möchte auch nicht, dass die Leute glauben, ich würde nur Böses im Schilde führen. Ich habe überhaupt kein Interesse daran, dass die Menschen krank werden. Ich möchte mich vermehren. Wenn die Leute symptomfrei bleiben und gar nichts merken, freut mich das. Es ist ja sogar ein Nachteil für ein Virus, wenn die Leute sich besonders krank fühlen, weil sie dann zuhause bleiben und mir fällt das Ausbreiten schwerer.
Sollten Sie sich daher nicht etwas mäßigen?
Mein Vorbild ist das Rhino-Virus, ein häufiges Schnupfenvirus. Da fühlt man sich gerade so krank, dass man nicht zuhause bleibt und es leicht verbreitet, weil man ein bisschen niest, weil einem der Rotz läuft. Das ist die Koryphäe für uns Viren. In diesem Sweet-Spot der Harmlosigkeit wäre ich gerne. Im Lauf der Evolution werde ich mich wohl ein Stück hinunterbegeben müssen, ja.
Gibt es derzeit etwas, das Ihnen Angst macht?
Es hat mich schon schockiert, dass die Entwicklung der Impfstoffe so gut funktioniert hat. Ich bin nicht das erste pandemische Corona-Virus, aber das erste, dem man mehr entgegenhalten kann als die Durchseuchung, also zu warten, bis alle angesteckt sind, und wer überlebt hat Glück gehabt. Doch ich bleibe Optimist. Es gibt ja praktisch noch in allen Ländern sehr große Impflücken, da kann ich mich zumindest im Herbst noch einmal ordentlich austoben.
Wie wird es dann weiter gehen?
Noch läuft es für mich gut. Aber es gibt immer den Übergang von einer pandemischen in eine endemische Phase. Pandemisch heißt, dass fast alle ungeschützt sind, da kann ich viele anstecken und viele werden sehr krank, endemisch heißt, dass dann die allermeisten geschützt sind. Da sind diese großen Wellen dann zu Ende und ich werde vermutlich eine Rolle einnehmen, wie man sie von saisonalen Viren bereits kennt. Man steckt sich alle heiligen Zeiten an aber erkrankt dann nur leicht. Das macht mir nicht Angst, aber ein bisschen weniger Aufregung gibt es dann schon für mich.
Wann wird der Spaß vorbei sein?
Wenn es nach mir geht noch lange nicht. Aber der Pool an Ungeschützten wird immer kleiner. Es wird auch davon abhängen, wie gut es mir gelingt noch ein wenig vor mich hin zu mutieren. Aber ja, kein Spaß hält ewig.
Kennen Sie eigentlich Martin Moder?
Ich habe mal ein Video von ihm gesehen. Der mag Viren auch nicht sehr gern.
Bringt seine Aufklärung etwas? Kann man die Leute nach fast zwei Jahren Pandemie noch dazu bringen auf die Wissenschaft zu hören?
Es gibt Menschen, die der Moder mit seinen Videos erreicht, die Fragen haben zu einem wissenschaftlichen Thema, die gut beantwortet werden können. Dann gibt es Leute, die der Moder nicht erreicht, weil sie gar keine Antworten suchen auf ihre Fragen, sondern überzeugt sind, die Antworten schon zu kennen.
Vielleicht erreicht man ja mehr skeptische Leute, wenn das Thema nicht so todernst daherkommt.
Das hoffe ich. Der Tod kommt eh allein bei dem Thema.
Was werden die Menschen einmal über diese Pandemie sagen?
Es wäre ein großer Eintrag in die Geschichtsbücher, sagen zu können, das war die erste Pandemie, die durch eine Impfung unter Kontrolle gebracht worden ist. Ich hoffe natürlich, dass man sagen wird: Es war die erste Pandemie, die man durch eine Impfung unter Kontrolle hätte bringen können, aber durch Desinformationskampagnen ist es misslungen.
Interview: Stefan Müller
Zur Person:
Martin Moder (33) Molekularbiologe und Wissenschaftskabarettist bei den Science Busters. Erhielt den Heinrich Treichl-Humanitätspreis des Roten Kreuzes 2021.