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Die Neugier erhalten

Interview mit Thomas Brezina im Magazin "Mein Rotes Kreuz" Ausgabe Nr. 4, November 2020

Kinderbuchautor Thomas Brezina sitzt auf einer Couch.
Thomas Brezina. Fotocredit: Lukas Beck

Thomas Brezina über sein Rezept, Kinder fürs Lesen zu begeistern, und warum es auch Erwachsenen gut täte, mehr zu staunen.

 

Sie schreiben seit 30 Jahren Kinderbücher. In dieser Zeit ist die Lesefähigkeit der Kinder gesunken. Woran liegt das?

Das Lesen von Büchern konkurriert heute mit vielen anderen Beschäftigungen, die Unterhaltung, Information und Herausforderung bringen. Wie Kinder heute Information und Geschichten aufnehmen, ist eine knappe, bildreiche Art. Auf der bauen wir Bücher für alle, die nicht so gerne lesen, auf. Kinder sind wesentlich individueller in ihrem Zugang zum Lernen geworden und darauf sollten Lehrerinnen und Lehrer Möglichkeit haben gut einzugehen. Lesen braucht viel Training.

Rotkreuz-Lesepaten berichten, dass viele Kinder sofort mit Begeisterung dabei sind, wenn  vorgelesen wird. Brauchen sie einfach genügend Aufmerksamkeit?

Vorlesen ist erwiesenermaßen eine Unterstützung um Freude am Lesen zu entdecken. Es ist aber nur ein Teil. Wichtig ist das Training der Lesefertigkeit und da haben Kinder sehr individuelle Zugänge und Ansprüche.

Kinder aus bildungsfernen Familien haben es in der Schule schwer. Beschäftigt Sie die Tatsache, dass sie mit weniger Chancen ins Leben starten müssen?

Das ist ungerecht und ein Thema der Schulpolitik. Alle Kinder sollten die gleichen Chancen haben.

Was würden Sie Eltern raten, deren Kinder nicht gerne lesen?

Geht mit euren Kindern in die Bücherei oder in die Buchhandlung. Lasst die Kinder aussuchen. Unterstützt sie dabei, Bücher zu finden, die Kinder von Form und Gestaltung  her schaffen. Den Inhalt aber sollen sie selbst wählen.

Wie kann man wieder mehr Kinder fürs Lesen begeistern – und Ihnen Bildung als etwas Positives und Freudvolles vermitteln?

Meine Grundsätze sind: Begeistern, bestärken und begleiten, aber niemals belehren. Ich erlebe Kinder als äußerst neugierig und wissbegierig. Für Wissen gilt es sie zu begeistern und eben nicht von oben herab zu belehren. Jedes Kind soll die Fertigkeit des Lesens beherrschen. Wenn es Bücher liest, großartig. Wenn es Informationen im Internet lieber sucht: auch gut. Es lesen auch nicht alle Erwachsene Bücher. Wichtig ist es, Texte aufnehmen und verstehen zu können.

Dabei sagen sie ja, Blödsinn gibt es nicht…

Was ich meine ist, dass Lesen das Aufnehmen von Text ist. Texte gibt es überall. Der Sohn einer Freundin von mir wurde als „Nicht-Leser“ bezeichnet, weil er Bücher nicht sehr mag und ist ein Experte auf Wikipedia und anderen Online-Lexika. Dort liest er jede Menge.

Astrid Lindgren ließ sich für ihre Geschichten von ihrer eigenen Kindheit inspirieren. Woher nehmen Sie ihre Fantasie?

Natürlich ist die eigene Kindheit eine wichtige Quelle. Ich sehe mich aber als Geschichtenerzähler, der die Augen seines Publikums zum Leuchten bringen will. Egal, welches Alter sie haben. Woher die Ideen kommen, weiß ich nicht, zum Glück tauchen sie in meinem Kopf auf.

Zum 30 Jahre-Jubiläum der Knickerbockerbande lassen sie Poppi, Lilo, Dominik und Axel wieder einen kniffligen Fall lösen. Was ist das Knickerbocker-Erfolgsgeheimnis, und funktioniert das für Erwachsene genauso?

In den vieren können sich Leserinnen und Leser wiederfinden. Mit diesen vieren wäre man gerne befreundet. Es ist immer spannend zu erfahren, was Menschen, mit denen man aufgewachsen ist, in ihrem Erwachsenenleben erleben, wie sie sich behaupten, auf welche Hürden sie stoßen.

Sie plädieren dafür, dass auch Erwachsene ihr Inneres Kind lebendig halten. Warum ist das so wichtig?

Erwachsene sollen sich die Neugier und den Zugang über Begeisterung erhalten, den Kinder haben. Kinder spielen stundenlang und sind weder erschöpft, noch bekommen sie Burnout. Wir müssen uns klar sein, welche Tätigkeiten wir ausüben, obwohl sie gegen unsere innere Einstellung und unsere Lebensfreude sind und uns fragen, welche wichtig und nötig sind und welche nicht. Außerdem geht es darum, die Einstellung zu manchen Tätigkeiten so zu ändern.

Täte es auch Politikern gut, die Welt öfter mit Kinderaugen zu betrachten?

Mehr zu staunen und nicht zu ernüchtert und abgebrüht zu sein, tut allen Menschen gut.

Zur Person

Thomas Brezina (57) ist einer der erfolgreichsten Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbuchautoren. Er schrieb über 570 Bücher, die in 35 Sprachen übersetzt und 40 Millionen Mal verkauft wurden.

Autor: Stefan Müller

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