Drohnen im Anflug auf Österreich?
Am Freitag, dem 6. Dezember 2013, fand in der Universität Graz auf Einladung des Österreichischen Roten Kreuzes (ÖRK), des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten (BMeiA), des Instituts für Völkerrecht und internationale Beziehungen der Karl-Franzens-Universität Graz sowie des Instituts für Völkerrecht der Johannes-Kepler-Universität Linz das Seminar „Drohnen im Anflug auf Österreich“ statt.
Im Rahmen der Veranstaltung wurden den über 70 Teilnehmern die rasche technologische Entwicklung ferngesteuerter Luftfahrzeuge und das technische Einsatzpotential von Drohnen in und für Österreich präsentiert sowie die rechtlichen Herausforderungen der Nutzung unbemannter Luftfahrzeuge für militärische und zivile Zwecke erörtert. Das Seminar steht in einer Reihe jährlicher Seminare zu Fragen des humanitären Völkerrechts, die vom ÖRK und vom BMeiA aufgrund von bei den Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondkonferenzen abgegebenen Zusagen veranstaltet werden.
Das ganztägige Seminar teilte sich in drei Expertenpanels:
Im ersten Panel wurden die vielzähligen zivilen und militärischen Einsatzmöglichkeiten von unbemannten Luftfahrzeugen von Industrie- und Anwenderseite aufgezeigt. Neben dem militärischen Einsatz, sei es durch Ausstattung mit Waffen oder zur Überwachung, können Drohnen auch zur polizeilichen Aufklärung, zur Überwachung von Großereignissen und Staatsgrenzen sowie im Katastrophenschutz und Rettungswesen eingesetzt werden.
Das zweite Panel beschäftigte sich mit den Herausforderungen für das Völkerrecht, die mit dem Einsatz unbemannter Luftfahrzeuge einhergehen. Dabei wurden die Grenzen des legalen Einsatzes von Drohnen im Rahmen bewaffneter Konflikte und die Problematik möglicher Menschenrechtsverletzungen durch den Einsatz von Drohnen aufgezeigt. Dabei wurde auch die aktuelle Diskussion über Drohnen in den Gremien der Vereinten Nationen, insbesondere im UN-Menschenrechtsrat, präsentiert.
Im dritten Panel wurden die Zulassung und der Betrieb von unbemannten Luftfahrzeugen nach dem mit 1. Jänner 2014 novellierten österreichischen Luftfahrtrecht sowie Fragen des Exports von Drohnen und Drohnentechnologie nach dem österreichischen Kriegsmaterialgesetz und dem österreichischen Außenwirtschaftsgesetz behandelt.
Zusammenfassung
Zusammenfassend wurde festgehalten, dass Österreich aufgrund der vielen positiven Anwendungsmöglichkeiten von Drohnen für den Einsatz dieser neuen Technologie offen sein sollte, wobei allerdings die rechtlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden müssten. Dies gelte auch für die internationale Ebene, auf der Österreich für die Einhaltung der durch die bestehenden Regelungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte gezogenen Grenzen für den Einsatz von Drohnen eintritt.
Das Institut für Völkerrecht, Luftfahrtrecht und Internationale Beziehungen der Johannes Kepler Universität Linz veranstaltete am 9. Oktober 2015 in Kooperation mit dem Europäischen Trainings- und Forschungszentrum für Menschenrechte und Demokratie der Universität Graz, dem Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres sowie dem Österreichischen Roten Kreuz das Seminar „Rechtsfragen autonomer Waffensysteme“ an der JKU.
Aus Sicht des humanitären Völkerrechts konzentrieren sich die Rechtsprobleme auf jene autonomen Systeme, die zum Einsatz lebensgefährdender Waffengewalt in der Lage sind (LAWS, lethal autonomous weapon systems). Die rund 50 Besucher des Seminars kamen vor allem aus der Forschung und Praxis des Völkerrechts sowie der Automatisationstechnik sowie von Einsatzorganisationen (Rotes Kreuz, Österreichisches Bundesheer) und erhielten im Laufe des Tages einen Überblick über die Thematik aus Sicht von Entwicklern, Anwendern und Rechtsexperten.
Zu den einzelnen Vorträgen
Die einzelnen Vorträge finden Sie - geordnet nach den jeweiligen Panels, in denen sie stattgefunden haben auf den nachfolgenden Seiten zum Download.
Technische und militärische Fragen autonomer Waffensysteme
Dr. Stefan Mitsch, Carnegie Mellon University (Pittsburgh)/JKU
Ing. Gregor Schnoell, CEO EyeAero GmbH
ObstltdG Mag. Markus Kohlweg, BMLVS, Sekt. II. Abt. MilStrat
Völkerrechtliche Fragen autonomer Waffensysteme
Em. O. Univ.-Prof. Dr Karl Zemanek, Universität Wien
A. Univ.-Prof. Dr. Sigmar Stadlmeier, LL.M., JKU Linz
A. Univ.-Prof. Dr Gerd Oberleitner, Karl Franzens Universität Graz
Tassilo Singer, Universität Passau
Dr. Peter Steiner, BMEIA
Panel- und Plenardiskussion
Chair: Dr. Bernhard Schneider, ÖRK
Resumée durch Botschafter Univ.-Prof. Dr. Helmut Tichy, BMEIA/Karl Franzens Universität Graz
Das Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen der Karl-Franzens-Universität Graz veranstaltete am 21. November 2016 in Kooperation mit dem Europäischen Trainings- und Forschungszentrum für Menschenrechte und Demokratie der Universität Graz, dem Institut für Völkerrecht, Luftfahrtrecht und Internationale Beziehungen der Johannes Kepler Universität Linz und dem Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres sowie dem Österreichischen Roten Kreuz das Seminar „Less Lethal Weapons – Nicht tödlich oder weniger tödlich: Rechtsfragen zum Einsatz nicht oder minder tödlicher Waffen“ an der Universität Graz.
Die einzelnen Vorträge finden Sie geordnet nach den jeweiligen Panels, in denen Sie stattgefunden haben, auf den nachfolgenden Seiten zum Download.
Panel 1: Militärischer Einsatz von Less Lethal Weapons (LLW)
Vorsitz: Ao. Univ.-Prof. Dr. Sigmar Stadlmeier, LL.M., JKU Linz
Brigadier Dr. Karl Edlinger, Österreichisches Bundesheer
Oberstleutnant Franz Pirker, Österreichisches Bundesheer
Brigadier Dr. Karl Edlinger, Österreichisches Bundesheer
Brigadier Edlinger lieferte eine Einführung in die Thematik und sprach über Systeme und rechtliche Aspekte des militärischen Einsatzes von LLW. Er gab zunächst die Definition des U.S. Department of Defence wieder, wonach minder-letale Waffen bzw. Wirkmittel wie folgt beschrieben werden „[…] weapons, devices and munitions, that are explicitly designed and primarily employed so as to incapacitate personnel or material, while minimizing fatalities, permanent injury to personnel, and undesired damage to property and the environment“. Im Wesentlichen wird also auf den Zweck einer Waffe bzw. eines Wirkmittels, wie es im militärischen Jargon heißt, abgestellt.
In weiterer Folge zählte Brigadier Edlinger verschiedene Arten von LLW auf. Zu den akustischen LLW zählen etwa schrille Geräusche, zu den digitalen LLW z.B. ein Computervirus, weiters gibt es kinetische LLW wie Wasserwerfer oder psychologische LLW wie Propaganda und Falschinformationen.
Brigadier Edlinger betonte die Wichtigkeit der Unterscheidung zwischen Situationen, in denen Militärpersonal zur Erfüllung seiner Kernaufgabe herangezogen wird, also zur Bekämpfung feindlicher Streitkräfte im Rahmen eines bewaffneten Konflikts, und Situationen, in denen es sich um die Wahrnehmung einer Nebenaufgabe handelt, wie ein Auslandseinsatz zur Friedenssicherung oder sicherheitspolizeiliche Assistenzeinsätze im Inland. Diese Unterscheidung sei deshalb so wesentlich, weil bei der Erfüllung der Kernaufgabe humanitäres Völkerrecht (HVR) zur Anwendung gelangt, bei der Erfüllung von Nebenaufgaben jedoch nationales (Polizei-)Recht. Edlinger wiederholte einige Grundsätze des HVR, insbesondere die Grundsätze der Unterscheidung, der Verhältnismäßigkeit, der Menschlichkeit und der Begrenzung.
Die Bedeutung von LLW im militärischen Einsatz schätzte Brigadier Edlinger als eher gering ein, da z.B. akustische Wirkmittel unterschiedslos gegen Kombattanten und Zivilisten wirken würden und somit nicht dem Prinzip der Unterscheidung gerecht werden könnten. Bei friedenssichernden Operationen könnte der Einsatz von LLW jedoch zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Oberstleutnant Franz Pirker, Österreichisches Bundesheer
Diese letzte Überlegung der Bedeutung von LLW bei friedenssichernden Einsätzen nahm Obstlt. Pirker unmittelbar auf. Er berichtete von seinen Erfahrungen mit LLW im Auslandseinsatz, genauer über einen Einsatz im Kosovo 2011. Pirker zählte die Vorteile von LLW auf, nämlich dass diese die Lücke zwischen „Shoot“ und „Shout“ schließen würden, eine höhere Handlungsfähigkeit bei zivilen Unruhen herbeiführen und Kollateralschäden vermindern würden. Nachteile von LLW wären allerdings, dass die Hemmschwelle zum Einsatz geringer wäre, der Einsatz komplexer und das Risiko der Eskalation höher, weshalb es auch immer ein Back-up durch konventionelle Waffen geben müsse.
Nach dieser Einführung berichtete Obstlt. Pirker vom Auslandseinsatz im Kosovo 2011. Rechtsgrundlage für die Stationierung der internationalen Sicherheitspräsenz KFOR im Kosovo ist die sog. Kosovo-Resolution der UN (Resolution 1244/1999). Auftrag war die Erhaltung des Friedens, Schaffung eines sicheren Umfelds und die Gewährleistung der eigenen Bewegungsfreiheit der Truppen. Diese Ziele sollten durch die Räumung und Wiederinbesitznahme einer gesperrten Straßenkreuzung erreicht werden. Die Truppen waren zu diesem Zeitpunkt bereits längere Zeit eingeschlossen und konnten nur mehr über den Luftweg erreicht werden.
Pirker verwies zunächst auf die Rules of Engagement (Einsatzregeln) für den KFOR-Einsatz des Bundesheeres, welche die Regeln für die Anwendung militärischer Gewalt enthalten. Geregelt sind darin u.a. die verschiedenen Eskalationsstufen und bei welcher Stufe welches Kampfmittel verwendet werden darf. Pirker berichtete in der Folge, welche Waffen im Kosovo wann eingesetzt wurden und von den Erfahrungen mit den einzelnen Waffen. Zum Schluss fasste Pirker zusammen, dass klare, eindeutige Einsatzrichtlinien sowie die Beherrschung von Technik, Taktik und Manöver notwendig seien, um einen adäquaten Einsatz von LLW gewährleisten zu können. LLW seien jedoch ein wirksames Mittel zur Auftragserfüllung ohne die Notwendigkeit letale Waffen einsetzen zu müssen.
Panel 2: Polizeilicher Einsatz von LLW
Vorsitz: Ao. Univ.-Prof. Dr. Gerd Oberleitner, KFU Graz
Hofrat Prof. Dr. Rudolf Keplinger, LPD OÖ
Oberst Hermann Zwanzinger, BMI
Hofrat Prof. Dr. Rudolf Keplinger, LPD OÖ
Prof. Keplinger beleuchtete die rechtlichen Aspekte des polizeilichen Einsatzes von LLW. Er betonte zunächst, dass im polizeilichen Bereich nicht nach dem Typ der Waffe (als tödliche oder nicht bzw. weniger tödliche) unterschieden werde, sondern nach dem konkreten Gebrauch. Rechtsgrundlage ist ausschließlich das Waffengebrauchsgesetz 1969 (kurz WaffGG). Dieses regelt den Waffengebrauch im Rahmen der polizeilichen Zwangsbefugnis. Ganz essentiell ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der sich wie ein roter Faden durch das gesamte Gesetz zieht. § 3 WaffGG schränkt ein, was als Dienstwaffe durch den öffentlichen Sicherheitsdienst verwendet werden darf. Bei der Einführung neuer Waffen, wie etwa des Tasers, stellte sich daher zunächst die Frage, ob dessen Einsatz überhaupt durch das WaffGG gedeckt ist.
Wie oben erwähnt unterscheidet das WaffGG den nicht lebensgefährdenden Gebrauch und den lebensgefährdenden Gebrauch von Waffen. Dabei wird nicht nach dem Waffentyp unterschieden, sondern nach der konkreten Situation. Prof. Keplinger brachte dazu das Beispiel eines Mannes, der vor einem Abgrund steht. Ein Taser sei zwar nicht per se tödlich, aber die Möglichkeit, dass der Mann beim Einsatz in den Abgrund fällt und stirbt, macht den Gebrauch des Tasers in dieser Situation lebensgefährdend. Weiters ist der lebensgefährdende Waffengebrauch grundsätzlich mit der Warnung des Einsatzes dessen verbunden, außer es handelt sich um eine Notwehrsituation.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, abgeleitet aus Art. 7 B-VG und Art. 2 EMRK, bedeutet, dass außerdem zu beachten ist, dass der Waffengebrauch nur zulässig ist, wenn ungefährliche oder weniger gefährliche Maßnahmen, ungeeignet scheinen oder sich als wirkungslos erwiesen haben. Stehen verschiedene Waffen zur Verfügung, darf nur von der am wenigsten gefährlichen, nach der jeweiligen Lage noch geeignet scheinenden Waffe Gebrauch gemacht werden. Die nachträgliche Beurteilung einer Situation, in der ein Sicherheitsbeamte Gebrauch von einer Waffe macht, erfolgt immer ex ante (d.h. aus früherer Sicht) und unter Anwendung des Vertretbarkeitsgrundsatzes. Es wird also gefragt, ob der Sicherheitsbeamte in vertretbarer Weise gehandelt hat und nicht, ob diese Handlung „richtig“ war.
Oberst Hermann Zwanzinger, BMI
Im letzten Vortrag dieses Panels beschäftigte sich Oberst Zwanzinger mit den einsatztaktischen Aspekten des polizeilichen Einsatzes von LLW. Er legte insbesondere die Gefahren dar, die von LLW ausgehen können und sprach von mindergefährlichen (Dienst-)Waffen und nicht von nicht-tödlichen Waffen. Je nach der konkreten Situation kann es nämlich bei der Anwendung von LLW unter Umständen auch zu gröberen Verletzungen kommen, etwa beim Einsatz eines Tasers zu Platzwunden bis hin zu Knochenbrüchen infolge eines Sturzes.
Auch der Einsatz des Wasserwerfers gegen Kopf kann zu schweren Verletzungen führen. Zu beachten sei auch immer, dass das Schmerzempfinden des Betroffenen aufgrund einer Ausnahmesituation deutlich gemindert sein kann und etwa der Pfefferspray nur eine verminderte Wirkung zeigt. Im Einsatz seien daher verschiedene Faktoren zu beachten, wie die Umgebung, die Kommunikation mit dem Team und dem Gegenüber sowie die Distanz zu der betroffenen Person. Beim konkreten polizeilichen Waffengebrauch sind immer auch menschenrechtliche Aspekte zu berücksichtigen.
Panel 3: Anmerkungen zum Einsatz von LLW aus humanitärer Sicht, anschließend Publikumsdiskussion
Impuls und Diskussionsleitung: Dr. Bernhard Schneider, ÖRK
Resümee der Veranstalter: Univ.-Prof. Botschafter Dr. Helmut Tichy, BMEIA/KFU Graz
Impulsreferat und Publikumsdiskussion
Im dritten und letzten Teil des Seminars referierte zunächst Dr. Bernhard Schneider, ÖRK, über die Bedeutung von LLW aus humanitärer Sicht. Dr. Schneider verwies zunächst auf den „alten Traum“ vom Betäubungsstrahl, wie er aus der Science Fiction-Literatur und –Filmen bekannt ist. Er thematisierte mögliche Verletzungen und mögliche tödliche Folgen durch den Einsatz von LLW und verwies ebenso darauf, dass eine Waffe nie nicht tödlich, sondern bestenfalls weniger tödlich sein kann. Beim Einsatz von LLW sind außerdem, wie auch bei konventionellen Waffen, die Grundsätze des HVR zu beachten.
Zur Diskussion gebracht wurde eine allfällig bestehende Verpflichtung zur Verwendung von LLW als gelindestes Mittel, welche aus dem bestehenden Verbot von Waffen und Kampfmitteln, die unnötige Leiden verursachen, abgleitet werden könnte. Probleme bei der Versorgung von durch den Einsatz von LLW verletzten Kombattanten könne jedenfalls kein Argument für den Einsatz tödlicher Waffen sein.
Weiters verwies Dr. Schneider auf die Möglichkeit, dass Zivilisten durch den Einsatz von LLW eventuell besser geschützt werden könnten. Zivilisten sind im bewaffneten Konflikt so gefährdet wie nie zuvor. Die Todesopfer könnten daher durch den Einsatz von LLW reduziert werden. Gleichzeitig stelle sich jedoch die Frage, ob es nicht zu noch mehr Konflikten käme, wenn die Folgen weniger drastisch wären. Krieg und Kriegsgräuel seien nämlich manchmal durchaus einkalkuliert um politische Ziele zu erreichen. Andererseits könnten weniger Tote und Vermisste dazu beitragen Friedensprozesse zu beschleunigen.
Diskussion
In der anschließenden Diskussion wurde unter anderem thematisiert, ob nicht oder weniger tödliche Waffen zu einer humaneren Kriegsführung beitragen können und ob Staaten zum Einsatz derartiger Waffen völkerrechtlich verpflichtet werden können und sollten. In diesem Zusammenhang wurde auch die Frage adäquater Verteidigungsmöglichkeiten seitens der Soldaten aufgeworfen. Kritisiert wurde am Einsatz von LLW, dass diese möglicherweise den Weg für einen Einsatz letaler Waffen „ebnen“ würden. Damit stand die Überlegung im Raum, dass der Gegner zuerst mittels Taser oder Betäubungsgas außer Gefecht gesetzt wird und dann erschossen wird. Dieses Verhalten würde jedoch dem HVR widersprechen, da ein Gegner, der sich nicht mehr wehren kann, nicht mehr bekämpft werden darf bzw. Verwundete versorgt werden müssen.
Zum Thema Taser wurde angemerkt, dass Österreich wegen seines Einsatzes von Tasern im Strafvollzug von der UN-Folterkommission kritisiert wurde und wird.
Zu guter Letzt wurde diskutiert, ob LLW zum Grenzschutz eingesetzt werden könnten, um etwa Flüchtlinge oder sonst illegal das Staatsgebiet Betretende aufhalten zu können. Dazu gibt es aber derzeit keiner Überlegungen. Es wäre außerdem das WaffGG sowie die Genfer Flüchtlingskonvention zu beachten.
Botschafter Helmut Tichy, Leiter des Völkerrechtsbüros im Außenministerium, fasste die Veranstaltung im Anschluss an die Diskussion zusammen und erinnerte daran, dass die Veranstaltung in einer Reihe mit anderen Tagungen über Atomwaffen, Drohnen und autonome Waffen stand, die die Veranstalter 2013 – 2015 organisiert haben. Er verwies auf die im Zuge der Veranstaltung geklärten Begriffsbestimmungen und auf die dabei aufgezeigte Bandbreite an LLW sowie auf das von allen Vortragenden erwähnte Verhältnismäßigkeitsprinzip.
Dieses sei auch dann von Bedeutung, wenn LLW außerhalb eines bewaffneten Konflikts und damit des Anwendungsbereichs des humanitären Völkerrechts zum Einsatz kommen, was – wie die Veranstaltung gezeigt habe – viel häufiger der Fall sei als deren Einsatz in bewaffneten Konflikten; durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip und die Menschenrechte im Allgemeinen bestehe aber auch dann kein Raum ohne völkerrechtliche Regelungen. Tichy dankte für die interessanten Einblicke in die praktische Anwendung von LLW, vor allem durch den Bericht über deren Einsatz im Kosovo im Jahr 2011, aber auch durch die genaue Darstellung des Waffengebrauchsgesetzes.
40 Jahre 1. und 2. Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen
Das Österreichische Rote Kreuz (ÖRK) veranstaltete am 28. November 2017 in Kooperation mit dem Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, dem Institut für Völkerrecht, Luftfahrtrecht und Internationale Beziehungen der Johannes Kepler Universität Linz sowie dem Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen der Karl-Franzens-Universität Graz das Seminar „40 Jahre 1. und 2. Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen“.
Vortrag 1: Begrüßung und Einführung in die Thematik
Univ.-Prof. DDr. Gerald Schöpfer, Präsident des Österreichischen
Roten Kreuzes
Präsident Univ.-Prof. DDr. Gerald Schöpfer stellte in seinen begrüßenden Worten das diesjährige Seminarthema vor und betonte, dass das diesjährige Jubiläum der zwei Zusatzprotokolle zu den Genfer Konventionen sowie die Annahme des Nuklearwaffenverbotsvertrags im Jahr 2017 von der Aktualität des Humanitären Völkerrechts und seiner Weiterentwicklung zeugen.
Nach Vorstellung der Vortragenden des Seminars wurde Botschafter Dr. Helmut Tichy, der neben Dr. Schneider ebenfalls als Moderator durch das diesjährige Seminar führte, die silberne Verdienstmedaille des Österreichischen Roten Kreuzes von Univ.-Prof. DDr. Schöpfer verliehen.
Generalsekretär Dr. Werner Kerschbaum fasste im Vorfeld die herausragenden Meilensteine aus dem Leben von Botschafter Dr. Tichy zusammen. So gründet sein Engagement auf seiner persönlichen humanitären Haltung sowie auf seinem großen Verständnis der humanitären Werte. Dr. Tichy war nicht nur während seiner Tätigkeit in Genf sehr erfolgreich, es geht auch die Qualität des österreichischen Rotkreuzgesetzes auf die umfassende Unterstützung Dr. Tichys zurück. Dr. Kerschbaum bedankte sich für die langjährige Zusammenarbeit mit Dr. Tichy, aus der auch die erfolgreiche Seminarreihe über die Verbreitung des Humanitären Völkerrechts in diesem wie auch in den vergangenen Jahren hervorging.
In Anwesenheit seiner Ehefrau und seiner Tochter bedankte sich Botschafter Dr. Tichy für die verliehene silberne Verdienstmedaille.
Vortrag 2: Spurenelemente der Dekolonisierung in der Genfer Staatenkonferenz 1974-1977
Botschafter i.R. DDr. Erich Kussbach
Botschafter i.R. DDr. Erich Kussbach, ehemaliger leitender Beamter des Völkerrechtsbüros des Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, berichtete im Rahmen seines Vortrages über die Staatenkonferenz, die in den Jahren 1974 bis 1977 in Genf stattgefunden hat. Da DDr. Kussbach an dieser Konferenz selbst teilgenommen hat, bot sein Vortrag einen raren Einblick in die zahlreichen formellen und informellen Verhandlungen, die schließlich zur Annahme von Zusatzprotokoll I und Zusatzprotokoll II führten. DDr. Kussbach berichtete über die langwierigen Verhandlungen, die unter anderem von Entwicklungsländern genutzt wurden, um Themen der Dekolonisierung in diesem Rahmen und mithilfe der Sprache der Vereinten Nationen auf die Tagesordnung zu bringen. Neben dieser Baustelle, die insbesondere Art. 1 Abs. 4 des Zusatzprotokolls I betraf, hob DDr. Kussbach weiters hervor, dass der Begriff des „Kombattanten“ in Art. 44 Abs. 3 des Zusatzprotokolls I und jener des „Söldners“ im Rahmen der Konferenz stark debattiert wurden.
Vortrag 3: Neues zur Arbeit der internationalen humanitären Ermittlungskommission in der Ukraine
Lisa Tabassi, OSZE
Lisa Tabassi, die Leiterin der Rechtsabteilung der OSZE, berichtete in ihrem Vortrag über das Vorgehen der OSZE nach der Explosion eines Fahrzeugs der OSZE-Special Monitoring Mission (SMM) am 23. April 2017 in der Ostukraine, die zum Tod eines Missionsmitglieds und zur Verletzung von zwei weiteren Missionsmitgliedern führte. Sie legte dar, dass der Generalsekretär der OSZE vom österreichischen Vorsitz mit der Einleitung einer forensischen Untersuchung des Vorfalls beauftragt worden war und es in der Folge zum erstmaligen Tätigwerden der internationalen humanitären Ermittlungskommission nach Art. 90 des Zusatzprotokolls I kam. Auf der Grundlage eines Memorandum of Understanding sowie eines Distinct Arrangement unterstützte diese die OSZE mit Diensten im Rahmen ihres Tätigkeitsbereiches bei der Zusammenstellung einer Ad-hoc-Ermittlungskommission.
Am 9. September 2017 präsentierte die Ad-hoc-Ermittlungskommission dem Ständigen Rat der OSZE die Ergebnisse der Untersuchung. Diesbezüglich erläuterte Lisa Tabassi, dass die Explosion des Fahrzeugs durch das Auffahren auf eine Panzerabwehrmine ausgelöst worden sei. Die Untersuchungsergebnisse schlossen jedoch einen gezielten Angriff auf die Special Monitoring Mission aus. Aufgrund der unterschiedslosen Wirkung von Minen und der überwiegend zivilen Nutzung der Straße stelle die Verlegung der Mine an dieser Stelle jedoch eine Verletzung des humanitären Völkerrechts dar. Abschließend hielt Lisa Tabassi fest, dass die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für den Vorfall nicht im Aufgabenbereich der Ad-hoc-Ermittlungskommission lag.
Im Anschluss wurde die Frage diskutiert, ob die OSZE mit vergleichbaren Vorfällen in Hinkunft auf dieselbe Art und Weise verfahren würde, oder ob sie gedenke, für die Bearbeitung solcher Vorfälle einen ständigen Untersuchungsausschuss einzurichten. Bezugnehmend auf die im Zusammenhang stehenden finanziellen und zeitlichen Aspekte schilderte Lisa Tabassi die Vor- und Nachteile der beiden Lösungsansätze. Die im Anlassfall für die Untersuchung des Vorfalls erforderlich gewesenen vier Monate stellten eine vertretbare Dauer dar, mit der auch bei einem ständigen Untersuchungsausschuss zu rechnen sei.
Botschafter i.R. DDr. Kussbach merkte an, dass ein derartiger Untersuchungsausschuss voraussichtlich teurer als die Untersuchung durch eine internationale humanitäre Ermittlungskommission sei. Das Vorgehen der OSZE im konkreten Fall könne daher auch als Beispiel für etwaige vergleichbare Vorfälle in der Zukunft dienen.
Vortrag 4: Die Rolle der Rechtsberater beim Österreichischen Bundesheer
Mag. Marco Grill, BMLVS
Mag. Marco Grill vom Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport berichtete über die Rolle der Rechtsberater beim Österreichischen Bundesheer. Da es für Kommandanten immer schwieriger wird, sämtliche Aufgaben wahrzunehmen, komme den Rechtsberatern der Einheiten, die sowohl in Kriegs- als auch in Friedenszeiten tätig sind, eine wichtige Rolle zu, so Mag. Marco Grill. Rechtsberater erhalten nicht nur eine fundierte juristische Ausbildung, sondern werden auch in den militärischen Grundlagen geschult. Neben der essentiellen Frage, welches Recht im Krisen- und Konfliktfall anzuwenden ist, beraten Rechtsberater sowohl im Bereich des Humanitären Völkerrechts als auch in anderen Gebieten wie internationales Einsatzrecht, Befugnisrecht, Strafrecht, Amtshaftungsrecht und Luftfahrtrecht. Mag. Grill führte weiters aus, dass trotz fundierter Rechtsauskunft des Rechtsberaters die Letztverantwortung beim jeweiligen Kommandanten liege, der auch gegen die Meinung des Rechtsberaters entscheiden könne.
Vortrag 5: Strafrechtliche Aspekte des im internationalen und nichtinternationalen bewaffneten Konflikt anzuwendenden Völkerrechts
Dr. Astrid Reisinger-Coracini, Universität Salzburg
Frau Dr. Astrid Reisinger Coracini berichtete in einem kurzen historischen Abriss über die Anfänge strafrechtlicher Bestimmungen des Kriegsrechts, die unter anderem zunächst im Lieber Code von 1863 verankert wurden, sowie in dem von Gustave Moynier vorgelegten ersten förmlichen Vorschlag zur Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofs Niederschlag fanden. Frau Dr. Reisinger Coracini erklärte, dass die Entwicklung der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Kriegsverbrechen und andere besonders schwere Verbrechen eng mit der Errichtung internationaler Institutionen (u.a. Jugoslawien- und Ruandatribunal, Internationaler Strafgerichtshof - IStGH) zur Durchsetzung dieser Verantwortlichkeit verbunden ist.
Der Vortrag konzentrierte sich vor allem auf die Kriegsverbrechen nach dem Römer Statut des IStGH (Art. 8). Sie erläuterte, dass sich diese grundsätzlich sowohl auf internationale wie auch auf nichtinternationale Konflikte beziehen, und illustrierte die Anwendungsvoraussetzungen dieser Tatbestände. In diesem Zusammenhang führte Frau Dr. Reisinger Coracini aus, dass es nach und nach zu einer Vereinheitlichung des Begriffs der Kriegsverbrechen im internationalen und nichtinternationalen bewaffneten Konflikt gekommen ist. Dies habe sich auch auf der Überprüfungskonferenz in Kampala 2010 gezeigt, wo mit den neuen Art. 8 Abs. 2 lit. e (xiii), (xiv) und (xv) der Einsatz von Gift, Giftgasen und expandierenden Geschossen in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten auch als Kriegsverbrechen definiert wurde.
Nachdem Frau Dr. Reisinger Coracini die Rolle der Zusatzprotokolle in der Rechtsprechung des IStGH thematisierte, hob sie hervor, dass sich die Angeklagten in 17 von bisher insgesamt 25 Fällen vor dem IStGH wegen Kriegsverbrechen zu verantworten hatten. Abschließend erläuterte sie das für den IStGH bisher einzigartige Urteil im Fall Al Mahdi. Al Mahdi wurde wegen der Zerstörung historisch bedeutender religiöser Monumente in Timbuktu für Kriegsverbrechen schuldig gesprochen und zu neun Jahren Haft verurteilt. Nicht nur war das Verfahren das bisher kürzeste, sondern Al Mahdi ist auch der erste Angeklagte, der sich vor dem IStGH schuldig bekannte.
Vortrag 6: Kinder als Kämpfer und als Ziele im Humanitären Völkerrecht
Dr. Birgit Haslinger, Johannes Kepler Universität Linz
Frau Assoz. Univ.-Prof. Dr. Birgit Haslinger von der Johannes Kepler Universität in Linz beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit der Stellung von Kindern als Kämpfer, aber auch als Ziele im Humanitären Völkerrecht. In diesem Zusammenhang hob sie hervor, dass es wünschenswert wäre, wenn Kinder in bewaffneten Konflikten einfach Kinder bleiben könnten, diese werden jedoch oft als Kämpfer instrumentalisiert. Dies liegt zunächst einerseits an der fehlenden Erfahrung und Risikoeinschätzung der Kinder und andererseits an den geringen Kosten, die Kinder verursachen. Ferner thematisierte Frau Dr. Haslinger die Rolle der Medien in Zusammenhang mit Kindern als Ziele bewaffneter Kampfhandlungen.
Die Vortragende legte dar, dass den einschlägigen Rechtsquellen keine einheitliche Definition des Begriffes „Kind“ zu entnehmen ist. Nachdem Frau Assoz. Univ.-Prof. Dr. Haslinger einen Überblick über die relevanten Bestimmungen in den jeweiligen Rechtsquellen gegeben hatte, verwies sie darauf, dass diesen vor allem unterschiedlichen Altersgrenzen hinsichtlich der Frage, wann man als „Kind“ gilt, zugrunde liegen.
Vortrag 7: Von der Initiative zum Verbot von Nuklearwaffen zum Vertrag von New York
Gesandter Dr. Robert Gerschner, BMEIA
Gesandter Dr. Robert Gerschner vom Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres berichtete über den Vertrag über das Verbot von Nuklearwaffen, der am 7. Juli 2017 von der durch Resolution 71/258 der Generalversammlung der Vereinten Nationen mandatierten Konferenz angenommen wurde. Er wies darauf hin, dass der Vertrag seit 20. September 2017 in New York zur Unterzeichnung aufliegt.
Nach einem Überblick über die geschichtlichen Entwicklungen, die zu dem Vertrag über das Verbot von Nuklearwaffen führten, analysierte Dr. Gerschner eine Reihe von Bestimmungen dieses Vertrages aus humanitärvölkerrechtlicher Sicht. Insbesondere argumentierte er, dass jeder Einsatz von Nuklearwaffen aufgrund der bei der Explosion entstehenden immensen Hitze- und Druckwelle wie auch der freigesetzten radioaktiven Strahlung humanitärvölkerrechtliche Gebote wie jene der Unterscheidung, der Verhältnismäßigkeit und der Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff, und die Verbote unterschiedsloser Angriffe sowie der Zufügung überflüssiger oder übermäßiger Leiden verletzen würde.
Auf die Frage, welche Bedeutung einem derartigen Vertrag zukommt, wenn ihn die Nuklearwaffen-Staaten doch nicht ratifizieren, erwiderte Dr. Gerschner, dass der Vertrag einen Grundstein für ein zukünftiges Umdenken der Zivilgesellschaft sowie der Nuklearwaffen-Staaten darstellen kann. Zudem betonte er die besondere Bedeutung des Vertrags als erstes konkretes Ergebnis multilateraler nuklearer Abrüstungsverhandlungen seit Annahme des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen im Jahr 1996. Er hob ferner hervor, dass der Vertrag einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung des Abrüstungsgebotes des Art. VI des Vertrags über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen leiste.
In Beantwortung der Frage, wann es zur tatsächlichen Umsetzung bzw. zum Inkrafttreten des Vertrags kommen würde, verwies Herr Dr. Gerschner auf dessen Art. 15, der vorsieht, dass der Vertrag 90 Tage nach der Hinterlegung der fünfzigsten Ratifikationen-, Annahme- Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde in Kraft tritt.
Vortrag 8: Humanitäre Auswirkungen von Nuklearwaffen sowie der Vertrag von New York aus Sicht von ICAN
Nadia Schmidt, ICAN Austria
Frau Nadja Schmidt, Vorsitzende von ICAN Österreich, illustrierte in ihrem Vortrag den essentiellen Beitrag, den ICAN im Kampagnen-Bereich zur Finalisierung des Vertrages von New York geleistet hat. ICAN, die Kampagne zur Abschaffung von Nuklearwaffen, wurde 2012 in dem Saal, in dem das diesjährige Seminar stattfand, gegründet und koordiniert heute über 460 Organisationen, die diese Kampagne unterstützen. Am 10. Dezember 2017 wird ICAN der Friedensnobelpreis für ihr Engagement überreicht. Frau Schmidt wies auf die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft in der Diskussion des Verbotes von Nuklearwaffen hin. Die Vortragende betonte, dass Opfern, die an den Folgen der Explosion von Nuklearwaffen leiden und aus unterschiedlichen Ländern kommen, meist sehr nachdrücklich vor Augen führen, welche Gefahren mit dieser Art von Waffen verbunden sind.
Auf die Frage, welcher Fortschritt durch die jeweiligen Partner von ICAN in Russland, Indien, Pakistan, China und Israel erreicht wurde, erwiderte Frau Schmidt, dass sie zwar in China und Russland noch keine offiziellen Partner gewinnen konnten, in Indien und Pakistan sich dafür Ärzte-Gesellschaften sehr aktiv um einen öffentlichen Diskurswandel in ihren Ländern bemühen. In Israel befindet sich ebenfalls ein starker Kampagnenpartner, der zu einer öffentlichen Diskussion dieses Themas geführt hat.
Panel Diskussion
Im Rahmen einer Panel Diskussion besprachen die Vortragenden die von Botschafter Dr. Tichy aufgeworfene Frage, ob ein Bedarf an neuen Normen des Völkerrechts besteht oder ob die bisher in Geltung stehenden Regelungen weiterhin ausreichen.
Botschafter i.R. DDr. Kussbach meinte, dass es wichtiger sei, nun geltendes Recht effektiver durchzusetzen, als neue Normen zu schaffen, die in weiterer Folge nicht eingehalten werden. Dr. Reisinger-Coracini stimmte dieser Meinung zu und führte zudem aus, dass es an den Staaten liegt, die jeweiligen völkerrechtlichen Normen national umzusetzen und die völkerrechtliche Idee voranzutreiben. Mag. Grill verwies auf die Aktualität des bestehenden Völkerrechts, da in einigen völkerrechtlichen Normen auf den technischen Fortschritt Bezug genommen wird. Assoz. Univ.-Prof. Dr. Haslinger schloss sich dieser Meinung an. Es stelle sich aber auch die Frage, ob es nicht einer verbesserten Durchsetzbarkeit durch Institutionen bedarf. Frau Nadja Schmidt verwies in weiterer Folge auf die drohende Gefährlichkeit, insbesondere autonomer Waffensysteme, deren Entwicklung und Einsatz nicht ausreichend durch völkerrechtliche Normen abgedeckt wird. Hier sei insbesondere die Unterstützung der Zivilgesellschaft erforderlich.
Die Moderatoren sowie der Generalsekretär Dr. Kerschbaum bedanken sich für die zahlreiche Teilnahme am heutigen Seminar und bei den Vortragenden für die interessanten Berichte und anregenden Diskussionen.
Humanitäres Völkerrecht und die Europäische Union. Aktuelle Entwicklungen während des Österreichischen Ratsvorsitzes
Das Österreichische Rote Kreuz (ÖRK) veranstaltete am 29. Jänner 2019 in Kooperation mit dem Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, dem Institut für Völkerrecht, Luftfahrtrecht und Internationale Beziehungen der Johannes Kepler Universität Linz sowie dem Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen der Karl-Franzens-Universität Graz das Seminar „Humanitäres Völkerrecht und die Europäische Union – Aktuelle Entwicklungen während des österreichischen Ratsvorsitzes“ an der Johannes Kepler Universität Linz. Moderiert wurde das Seminar von Assoz. Univ.-Prof.in Dr.in Birgit Haslinger, LL.M., Johannes Kepler Universität Linz, und ao. Univ.-Prof. Dr. Gerd Oberleitner, Karl Franzens Universität Graz.
1. Begrüßung und Einführung in die Thematik
Bot. Univ.-Prof. Dr. Helmut Tichy, BMEIA, und Dr. Bernhard Schneider, Österreichisches Rotes Kreuz
Nach den Begrüßungsworten durch ao. Univ.-Prof. Dr. Sigmar Stadlmeier, LL.M., seitens der Johannes Kepler Universität Linz stellten Bot. Univ.-Prof. Dr. Helmut Tichy und Dr. Bernhard Schneider das diesjährige Seminarthema vor, strichen die Rolle und den Einfluss der Europäischen Union im Bereich des humanitären Völkerrechts hervor und betonten das Anliegen, das humanitäre Völkerrecht noch bekannter zu machen. Geplant sei, auch bei der 33. Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondkonferenz (Dezember 2019) Initiativen zur Stärkung des humanitären Völkerrechts zu unternehmen.
Bot. Tichy und Dr. Schneider bedankten sich bei den Mitwirkenden und bei Prof. Stadlmeier für die Gastfreundschaft der Universität Linz.
2. 20 Jahre Internationaler Strafgerichtshof: Aktuelle Entwicklungen
Ges. Dr. Konrad Bühler, BMEIA, und Mag.a Pia Niederdorfer, BMEIA
Ges. Dr. Konrad Bühler, Leiter der Abteilung Allgemeines Völkerrecht des BMEIA und während des österr. Ratsvorsitzes Vorsitzender der Ratsarbeitsgruppe für Völkerstrafrecht (COJUR ICC), berichtete über die Aktivierung der Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH, engl. ICC) über das Verbrechen der Aggression mit 17. Juli 2018, wodurch die Gerichtsbarkeit des IStGH nach dem Römer Statut 20 Jahre nach der Konferenz von Rom komplettiert wurde. Die Verhandlungen über diese Aktivierung im Rahmen der 16. IStGH-Vertragsstaatenversammlung 2017, geleitet von Österreich, stellten sich als besonders schwierig dar. Bei der IStGH-Überprüfungskonferenz in Kampala im Jahr 2010 wurde der Tatbestand der Aggression zwar bereits definiert, jedoch standen sich zwei Lager von Vertragsparteien gegenüber, die unterschiedliche Auffassungen über die Ausübung der Jurisdiktion des IStGH vertraten und die Verhandlungen darüber somit erheblich erschwerten. Unter österr. Verhandlungsführung konnte schließlich dennoch im Dezember 2017 der Beschluss über die Aktivierung mit 17. Juli 2018, dem 20. Jahrestag der Annahme des Römer Status, im Konsens angenommen werden (sh. ICC-ASP/16/Res 5). Im Aktivierungsbeschluss wurde der Inhalt der Änderungsbestimmungen des Artikels 121 Absatz 5 des Römer Statuts bestätigt und zugleich die Unabhängigkeit und Kompetenzkompetenz des IStGH zur Entscheidung über die eigene Zuständigkeit betont.
Mag.a Pia Niederdorfer, Referentin in der Abteilung Allgemeines Völkerrecht des BMEIA, berichtete über die Tätigkeiten des österr. Ratsvorsitzes in der Ratsarbeitsgruppe COJUR ICC, insbesondere über die Annahme von Ratsschlussfolgerungen der EU-AußenministerInnen zum 20-jährigen Jubiläum des Römer Statuts am 16. Juli 2018 und die 17. IStGH-Vertragsstaaten¬versammlung im Dezember 2018. Die Ratsschlussfolgerungen halten die ausdrückliche Unterstützung des IStGH durch die Europäische Union fest und begrüßen auch die Aktivierung des Tatbestands der Aggression. Der österr. Ratsvorsitz beteiligte sich auch an der Organisation der Feierlichkeiten anlässlich des 20. Jahrestags der Annahme des Römer Statuts, die am 17. Juli 2018 in Den Haag stattfanden. Mag.a Niederdorfer berichtete auch über aktuelle Entwicklungen hinsichtlich des IStGH während des österr. Ratsvorsitzes, etwa die Entscheidung des IStGH betreffend seine Gerichtsbarkeit über die Vertreibung der Rohingya von Myanmar nach Bangladesch. In der Ratsarbeitsgruppe COJUR ICC wurde unter österr. Ratsvorsitz zudem an den Themen Mainstreaming des IStGH in den EU-Außenbeziehungen, Aktivitäten der EU für das Erreichen weiterer Ratifikationen des Römer Statuts, etwa durch Erstellung einer Liste von Fokusländern, die vermehrt Unterstützung bei der Erfüllung der nationalen Voraussetzungen für den Abschluss des Ratifizierungsprozesses erhalten sollen, und die Unterstützung des IStGH im Lichte aktueller Angriffe auf seine Unparteilichkeit und Unabhängigkeit gearbeitet.
3.Humanitäres Völkerrecht und internationales Strafrecht aus Sicht des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees
Bot. Mag. Alexander Kmentt, Ständige Vertretung Österreichs bei der Europäischen Union Brüssel
Bot. Mag. Alexander Kmentt, österr. Ständiger Vertreter im Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee der Europäischen Union (PSK), gab einen Einblick in die Bestrebungen zur Stärkung des Humanitären Völkerrechts und des internationalen Strafrechts auf europäischer Ebene. Er berichtete aus Ratsperspektive über die Treffen des PSK sowie jene der AußenministerInnen während des österr. Ratsvorsitzes und führte als Beispiele für diskutierte Themen Krisenregionen wie Syrien, Jemen, Ostukraine, Kongo, Irak und Gaza sowie generelle Fragen mit Bezug zum humanitären Völkerrecht, zu Multilateralismus und zu Grundrechten an. Eindeutig sei, dass humanitäre und für das humanitäre Völkerrecht relevante Themen im Diskurs der Europäischen Union zu vielen Krisensituationen allgegenwärtig sind und auch im Kontext des aktuell zu beobachtenden Trends des Aufbrechens des multilateralen Systems zu sehen sind. Die Europäische Union sehe sich in einer Rolle der Hüterin des multilateralen Systems und sehe es als ihr Ziel, sich dementsprechend stärker zu positionieren. Österreich hat sich im Vorfeld sowie während des Vorsitzes für eine institutionelle Stärkung der EU im Bereich humanitäres Völkerrecht und internationales Strafrecht eingesetzt und die Einrichtung eines bzw. einer entspr. Sonderbeauftragten vorangetrieben. Bisher gelang es nicht, eine Einigung zur Einrichtung einer solchen Position zu erlangen, Österreich wird sich jedoch weiterhin für eine entsprechende Institutionalisierung einsetzen. Multilateralismus sei seit dem Staatsvertrag 1955 Säule der österr. Außenpolitik. Österreich gehöre multilateral zu den Treibern in einer Vielzahl von Themen.
4. Humanitäre Hilfe und Humanitäres Völkerrecht
Ges. Mag. Bernhard Wrabetz, BMEIA, und Mag.a Julia Haas, BMEIA
Ges. Mag. Bernhard Wrabetz, Leiter der Abteilung Humanitäre Hilfe und Nahrungsmittelhilfe des BMEIA und während des österr. Ratsvorsitzes Vorsitzender der Ratsarbeitsgruppe „Zusammenarbeit im Bereich humanitäre Hilfe und Nahrungsmittelhilfe“ (COHAFA), stellte das Arbeitsprogramm der Ratsarbeitsgruppe COHAFA und Initiativen der österr. Ratspräsidentschaft vor. Mag.a Julia Haas, Referentin in der Abteilung Allgemeines Völkerrecht des BMEIA, berichtete über österr. Aktivitäten und Initiativen im Rahmen der Ratsarbeitsgruppe Völkerrecht (COJUR) sowie über den völkerrechtlichen Rahmen der humanitären Hilfe. In Zusammenspiel der humanitären Hilfe und des humanitären Völkerrechts wurden Spannungsfelder und Grauzonen aufgezeigt, etwa im Zusammenhang mit der zunehmenden Verzahnung humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Wenngleich eine solche verstärkte Koordinierung vielerlei Vorteile bringt, erschwert sie die Grenzziehung zwischen diesen Bereichen. Auch wenn sich beide die Linderung humanitären Leids und die Verbesserung der Lebensumstände der Bevölkerung zum Ziel setzen, haben sie andersgelagerte Rollen und unterschiedliche zugrundeliegende Rahmenbedingungen. Dies zeigt sich etwa im Hinblick auf den besonderen Schutzstatus humanitären Personals, der zur Erfüllung deren neutralen Mandats unabdingbar ist. Als Beispiel wurde Bildung in Krisengebieten hervorgehoben, bei der sichtbar wird, dass die Grundsätze der Unparteilichkeit und Neutralität der humanitären Hilfe der Notwendigkeit, im Zuge der Entwicklungszusammenarbeit mit Regierungen in Krisengebieten zusammenzuarbeiten, einander oft widersprüchlich gegenüberstehen. Eine verstärkte Koppelung und in Folge verstärkte Zusammenarbeit mit Regierungen – und somit in der Regel einer der Konfliktparteien – laufe Gefahr, die Erfüllung des neutralen humanitären Mandats zu gefährden. Weiters wurden aktuelle Entwicklungen in der Antiterrorismusgesetzgebung thematisiert, nach deren zunehmend restriktiven Bestimmungen bei strenger Auslegung gewisse Aktivitäten humanitärer Hilfe als Terrorismusunterstützung qualifiziert werden könnten. Es gilt, dieses Spannungsfeld aufzulösen, um humanitäre Hilfe nicht ungewollt zu erschweren. Rechtsunsicherheit soll etwa durch humanitäre Klauseln vermieden werden, wie beispielsweise in der EU-Antiterrorismus-Richtlinie vorgesehen, die Tätigkeiten mit humanitärem Ziel vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausnimmt. Wenngleich eine unionskonforme Auslegung diese Ausnahme auch in potentiellen nationalen Konfliktfällen sicherstellen würde, sind zusätzliche bewusstseinsbildende Maßnahmen und Kooperation erforderlich.
5. Cyber Sicherheit und Humanitäres Völkerrecht
Mag.a Isabella Brunner, BMEIA (inkl. Vertretung von Ges. Mag.a Elisabeth Kögler, BMEIA)
Mag.a Brunner, die aufgrund einer kurzfristigen Terminkollision auch Ges. Mag.a Elisabeth Kögler vertrat, berichtete über die Einigkeit der meisten Staaten, dass humanitäres Völkerrecht auch auf den „Cyberspace“ Anwendung finde. Uneinigkeit bestehe jedoch hinsichtl. der Frage der konkreten Anwendung, insb. wann die Schwelle zu einem bewaffneten Konflikt bei Verwendung neuer Technologien erreicht ist. International anerkannt wird, dass humanitäres Völkerrecht bei staatlichen Cyberangriffen mit physikalischen Auswirkungen zur Anwendung kommt, etwa bei Sachbeschädigungen oder der Verletzung oder Tötung von Personen. Zwei Fälle, bei denen die Anwendung diskutiert wurde, wurden besonders hervorgehoben: Beim Stuxnet-Virus, der 2009/2010 Computer von zwei iranischen Nuklearanlagen infiltrierte, wurde das Vorliegen physikalischer Auswirkungen trotz Beschädigung des Betriebs der Nuklearanlage mangels nachweislicher Absicht der Zerstörung der Anlage verneint. Die Frage des Vorliegens von „kriegsähnlichen Handlungen“ durch einen Staat bzw. im staatlichen Auftrag stellt sich bei dem bisher schadenträchtigsten NotPetya-Hackangriff, bei dem hunderttausende Computer durch Verschlüsselung lahmgelegt wurden und ein Gesamtschaden von bis zu 10 Mrd. Dollar entstand. Da die Versicherung eine entspr. Ausnahmeklausel (keine Verpflichtung zur Zahlung bei „kriegsähnlicher Handlung“) geltend zu machen versucht, liegt die Frage vor einem US-Gericht. Zudem stellt sich die Frage des Vorliegens eines physikalischen Schadens.
In der EU werden entsprechende Fragen im Rahmen der Horizontalen Arbeitsgruppe für Cyber-Angelegenheiten, die u.a. von Ges. Kögler geleitet wurde, thematisiert. In diesem Rahmen wurde ein Non Paper zur gemeinsamen Zurechnung von Cyberangriffen erarbeitet, welche jedoch Einstimmigkeit aller Mitgliedstaaten vorsieht. Neben klassischen diplomatischen Reaktionen wie öffentlichen Stellungnahmen und Démarchen wird die Einrichtung eines Cyber-Sanktionsregimes diskutiert. Im Rahmen der VN tagte bereits mehrmals eine ExpertInnengruppe (UNGGE), die sich 2017 jedoch auf keinen Konsensbericht einigen konnte. 2019 sollen eine neue UNGGE und eine Offene Arbeitsgruppe parallel tagen. Zudem finden sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene Cyber-Übungen statt.
6. Jüngste Entwicklungen des zwischenstaatlichen Prozesses zur Stärkung der Einhaltung des Humanitären Völkerrechts
Bot. Univ.-Prof. Dr. Helmut Tichy, BMEIA, und Dr. Bernhard Schneider, Österreichisches Rotes Kreuz
Bot. Tichy und Dr. Schneider berichteten über die Entstehung und die weitere Entwicklung des Prozesses zur Stärkung der Einhaltung des humanitären Völkerrechts, der 2011 durch die Schweiz und das IKRK initiiert wurde. Die Initiative wurde bei der 31. Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondkonferenz (2011) formalisiert und umfasste unterschiedliche Ideen und Optionen, wie vor allem die Einrichtung eines Staatenforums zu Fragen des humanitären Völkerrechts sowie dessen Einhaltung. Auch wenn bereits einzelne Mechanismen zur Überprüfung der Einhaltung des humanitären Völkerrechts bestehen, wie etwa die Internationale Ermittlungskommission, die Abhaltung von Treffen der Vertragsstaaten der Genfer Konventionen oder Ad Hoc-Treffen zu Spezialthemen, wäre ein vertiefter Dialog über humanitäres Völkerrecht erforderlich. Die zunehmende Lückenfüllung dieser Aufgabe durch andere, zumeist menschenrechtliche Mechanismen oder vom VN-Sicherheitsrat eingesetzte Ermittlungskommissionen ist nicht unproblematisch.
Trotz kontinuierlichen Engagements vieler Akteure, darunter auch Österreich, gelang es nicht, Einigung über das weitere Vorgehen zur Stärkung der Einhaltung des humanitären Völkerrechts zu erzielen. In den Diskussionen ging es einerseits um die bessere Nutzung bestehender internationaler Foren und andererseits um das Staatenforum, bei dem aber politisierte Diskussionen und Kontextualisierungen möglichst vermieden werden sollten. Eine Einigung im Vorfeld der im Dezember 2019 stattfindenden 33. Rotkreuz- und Rothalbmondkonferenz war aber dennoch nicht möglich, weshalb der Prozess im März 2019 von den Fazilitatoren IKRK und Schweiz für beendet erklärt werden soll. Trotz dieser bedauerlichen Entwicklungen besteht vorsichtiger Optimismus, dass nach Beendigung des Prozesses andere Wege zur Stärkung der Einhaltung des humanitären Völkerrechts gefunden werden können. Bot. Tichy und Dr. Schneider unterstrichen die weiterhin bestehende Notwendigkeit, einen Grundkonsens der internationalen Gemeinschaft über Verletzungen des humanitären Völkerrechts erzielen zu können.
Der österr. Ratsvorsitz bemühte sich im Zusammenhang mit dem genannten Prozess um ein gestärktes gemeinsames Auftreten der EU in den Konsultationen, veranstaltete Koordinierungssitzungen zur besseren Abstimmung von Maßnahmen zur Unterstützung des Prozesses und erarbeitete ein Positionspapier, in welchem auch die notwendige Einbeziehung nationaler Rotkreuzgesellschaften in den Prozess berücksichtig wurde.
7. International Humanitarian Law and its Enforcement: an Outlook
Assoz. Prof.in Réka Varga, PhD, Pázmány Universität Budapest, Mitglied der Internationalen Humanitären Ermittlungskommission
Assoz. Prof.in Dr.in Varga berichtete über die Entwicklung und gab einen Ausblick zur Frage der Durchsetzbarkeit des humanitären Völkerrechts. Sie informierte über die erstmalige Bezugnahme des VN-Sicherheitsrats auf das humanitäre Völkerrecht im Zusammenhang mit dem Sechstagekrieg 1967, erneute Bezugnahmen in Resolutionen im Rahmen des Konflikts in Jugoslawien und in Ruanda sowie über die erstmalige explizite Nennung der Gefährdung des internationalen Friedens und der Sicherheit aufgrund einer schwerwiegenden Verletzung des humanitären Völkerrechts. Prof.in Varga informierte über den Bericht des VN-Generalsekretärs zum Status der Umsetzung der Zusatzprotokolle der Genfer Konventionen, dem der aktuelle Stand der Umsetzung des humanitären Völkerrechts zu entnehmen sei, jedoch berichten Staaten unzureichend ein. Auch der VN-Menschenrechtsrat befasst sich zunehmend mit Verletzungen des humanitären Völkerrechts. Diese lückenfüllende Funktion ist aufgrund häufig mangelnder Expertise im Bereich des humanitären Völkerrechts und der Politisierung des Menschenrechtsrats eher negativ zu sehen, auch wenn die Dokumentationsfunktion von Verletzungen wichtig ist. In diesem Zusammenhang ist auch die Arbeit des Internationalen Unparteilichen und Unabhängigen Mechanismus (IIIM) für Verletzungen in Syrien zu nennen, sowie die Internationale Humanitäre Ermittlungskommission (IHFFC). Die IHFFC wurde 2017 unter österr. OSZE-Vorsitz in Folge einer Minenexplosion in der Ukraine erstmals aktiviert. Ihre Aufgabe ist die Ermittlung von Fakten, Fragen zur Verantwortlichkeit sind nicht vom Mandat erfasst. Die Frage der Verantwortlichkeit für die schwerwiegendsten Verletzungen des humanitären Völkerrechts betrifft den IStGH, dessen Einrichtung auch Auswirkungen auf nationale Rechtsentwicklungen hatte. Von Relevanz sind auch völkerrechtlich nicht bindende Absichtserklärungen, die teilweise von internationalen Organisationen und der Zivilgesellschaft erarbeitet werden und durch öffentlichen Druck und über den Weg der Nennung in VN-Dokumenten auch quasi-bindende Wirkungen entfalten können. Herausforderungen im Zusammenhang mit der Durchsetzung von humanitärem Völkerrecht ergeben sich zunehmend durch die Rolle nichtstaatlicher Akteure, die in der Rechtsentwicklung nicht involviert waren und von internationaler Zusammenarbeit zumeist ausgenommen sind. Zum Schutz der Zivilbevölkerung und auch, weil nichtstaatliche Akteure derselben individuellen kriminellen Verantwortung unterliegen, wäre eine bessere Bewusstseinsbildung und Trainings zum humanitären Völkerrecht sinnvoll. Um künftig eine bessere Verantwortlichkeit und Einhaltung des humanitären Völkerrechts gewährleisten zu können, sollten sich ebenfalls nationale Gerichte, auch aufgrund universeller Jurisdiktion, vermehrt mit internationalem Strafrecht befassen. Am Beispiel des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien zeigt sich, wie nationale Gerichte durch Übergabe von Fällen und Trainings Expertise aufbauen und wesentliche Erfahrung im Umgang mit Kriegsverbrechen und Verurteilungen sammeln können.
8. Verantwortlichkeit des Personals bei Auslandseinsätzen: Golan-Höhen 2012
Ao. Univ.-Prof. Dr. Sigmar Stadlmeier, LL.M., Johannes Kepler Universität Linz
Seit dem Jom-Kippur-Krieg 1973 hält Israel die Golan-Höhen besetzt. Ergänzend zu dem von den VN vermittelten Waffenstillstand wurde mit Zustimmung von Israel und Syrien eine Mission zur Überwachung der Einhaltung des Waffenstillstands und der Truppentrennung eingerichtet (UN Disengagement Observer Force, UNDOF). Prof. Dr. Stadlmeier informierte über das Mandat dieser Mission, welches die Überwachung und Berichterstattung umfasst, jedoch keine Eingriffsmöglichkeiten vorsieht. Um die Erfüllung des Mandats ermöglichen zu können, müssen alle Missionsmitglieder Unparteilichkeit zwischen Syrien und Israel, aber auch zwischen diversen syrischen Gruppierungen gewähren. Im Sommer 2012 ereignete sich auf den Golan-Höhen folgender medienbekannter Vorfall: nichtstaatliche bewaffnete Kräfte planten einen Hinterhalt, der von den bei UNDOF stationierten österr. Blauhelmen beobachtet wurde, und ermordeten in Folge neun syrische Geheimpolizisten. Die personenstarke und ungewöhnlich schwer bewaffnete Patrouille der Polizei musste vor ihrer Durchfahrt den UNDOF-Stützpunkt passieren. Die Blauhelme sprachen mit den syrischen Polizisten, warnten jedoch nicht vor dem Hinterhalt. In Folge der Weiterfahrt und eines einstündigen Schussgefechts wurden alle neun syrischen Polizisten getötet, auf Seite der nichtstaatlichen bewaffneten Kräfte gab es ebenso Tote. In Anschluss an die Veröffentlichung von audiovisuellen Aufnahmen des Vorfalls in österr. Medien richtete der Bundesminister für Landesverteidigung eine Untersuchungskommission zur Prüfung des Verhaltens der österr. Soldaten ein, welcher auch Prof. Stadlmeier angehörte. Die Untersuchungen ergaben, dass sich die österr. Blauhelme sowohl mandatskonform als auch entsprechend den konkreten militärischen Anweisungen verhielten, da UNDOF eine reine Beobachtungsrolle innehat. Eine explizite Warnung der syrischen Geheimpolizei wäre somit eine mandatswidrige Einmischung gewesen. Durch den am Ende des Gesprächs mit den Polizisten von den österr. Blauhelmen getätigten Warnhinweis „take care, take care“ wurde das Mandat bereits weit ausgelegt. Die Ergebnisse der Kommission wurden nach Abschluss durch eine VN-geführte Untersuchung bestätigt. Österr. Ermittlungsverfahren zur Frage einer möglichen individuellen strafrechtlichen Verantwortung wegen Mords durch Unterlassung (unechtes Unterlassungsdelikt) sind derzeit anhängig, eine solche Verantwortung erscheint mangels Garantenstellung jedoch fraglich.
9. Paneldiskussion
Im Rahmen der Paneldiskussion wurden verschiedene Fragen zu den Vorträgen des Seminars diskutiert. Im Zusammenhang mit der Kritik an der politischen Ausrichtung des VN-Menschenrechtsrats unterstrich Prof.in Varga das Bestreben, die Zivilgesellschaft möglichst umfassend in Belangen des humanitären Völkerrechts einzubinden. Ges. Bühler ergänzte, dass es etwa die Konferenz von Rom und somit Einrichtung des IStGH ohne Engagement der Zivilgesellschaft nicht gegeben hätte. In der Europäischen Union sei die Zivilgesellschaft sehr aktiv und auch einbezogen: Bei den Treffen der Ratsarbeitsgruppen gebe es immer auch informelle Treffen, an denen auch NGOs wie etwa Human Rights Watch oder Amnesty International teilnehmen würden. Auch im Zusammenhang mit dem Vortrag zu den Golan-Höhen wurde die Einbeziehung der Zivilbevölkerung und der Medien bei Aufarbeitung des Vorfalls und Präsentation der Ergebnisse der BMLV-Untersuchungskommission thematisiert. Zudem wurde die Frage einer möglichen Schutzpflicht der Zivilbevölkerung diskutiert, deren Konstruktion nach Einschätzungen von Prof. Stadlmeier beim besprochenen UNDOF-Mandat auf den Golan-Höhen schwierig sei. Ebenso angesprochen wurde die Reibefläche zwischen normativer Rechtsordnung und gesellschaftlicher Wirklichkeit, die sowohl in vielen alltäglichen Belangen als auch bei der mangelnden Einhaltung des humanitären Völkerrechts wahrzunehmen ist. In Folge wurden mögliche künftige Schritte zur Stärkung der Einhaltung des humanitären Völkerrechts nach Beendigung des sog. Compliance-Prozesses diskutiert. Auch wenn grundsätzlich alle Staaten die Bedeutung des humanitären Völkerrechts und Notwendigkeit der Stärkung seiner Einhaltung unterstreichen, bestehe weiterhin Uneinigkeit, wie dies prozedural zu erreichen sei. Daher müssen die konstruktiven Gespräche jedenfalls weitergeführt werden und weitere Initiativen auch bei der 33. Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondkonferenz in Aussicht zu nehmen. Dabei wurde auch die besondere Rolle des IKRK mit neutraler Vermittlungsrolle hervorgehoben.
Abschließend bat Prof. Oberleitner die Vortragenden um ein Resümee des österr. Ratsvorsitzes und eine Wertung der Rolle der Europäischen Union im Bereich des humanitären Völkerrechts. Auch wenn der Grundtenor der Vortragenden war, dass innerhalb einer Ratsvorsitzperiode nur kleine Schritte gesetzt werden könnten, zeigte sich klar, dass eine engagierte Präsidentschaft spezifische Initiativen und Schwerpunkte setzen kann. Da langfristige Projekte Kontinuität und gute Zusammenarbeit erfordern, sei neben der Planung wichtiger Initiativen im Trio-Format auch die Troika-Kooperation mit der vorherigen und nachfolgenden Präsidentschaft essentiell. Herausforderungen ergeben sich durch den innereuropäischen Abstimmungsprozess mit den Mitgliedstaaten sowie auch mit und zwischen den EU-Organen. Herausgestrichen wurde die Wichtigkeit eines kontinuierlichen und umfassenden Dialogs mit allen relevanten Akteuren. Österreich gelang es jedenfalls, auch im Bereich des humanitären Völkerreichs Erfolge während des Ratsvorsitzes zu verzeichnen, und es besteht die Hoffnung, die während der Ratspräsidentschaft gesetzten Akzente in den nachfolgenden Monaten und Jahren fortsetzen zu können.
10. Zusammenfassung und Abschluss
Assoz. Univ.-Prof.in Dr.in Birgit Haslinger, LL.M., Johannes Kepler Universität Linz, und Ao. Univ.-Prof. Dr. Gerd Oberleitner, Karl Franzens Universität Graz.
Am Ende des Seminars bedankten sich Prof. Oberleitner und Prof.in Haslinger für die Vorträge, die Diskussion und die Gastfreundschaft der Johannes Kepler Universität Linz. Durch das Seminar konnte vieles über die Positionierung Österreichs zu diversen Themen, die Rolle und Arbeit der EU sowie Initiativen im Bereich des humanitären Völkerrechts mitgenommen werden. Auch Prof. Stadlmeier bedankte sich stellvertretend für die Johannes Kepler Universität Linz bei den OrganisatorInnen, den Vortragenden sowie dem Publikum.
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