Wir sind da Ö Österreich
Martina Schloffer Stv. Bereichsleiterin • Einsatz und Internationale Zusammenarbeit ©ÖRK / Thomas Holly Kellner

Das humanitäre Völkerrecht ist die Basis unserer Existenz

Gerade in bewaffneten Konflikten wie in Israel und dem Gaza, aber auch in der Ukraine, ist das Engagement des Roten Kreuzes lebenswichtig. Grundlage für freiwillige Hilfseinsätze sind das humanitäre Völkerrecht und eine strikte Neutralität, erklärt uns Martina Schloffer, die sich nur zu gut in die Lage ihrer Kolleginnen und Kollegen vor Ort hineinversetzen kann. Denn letztendlich ist es nicht mehr als das Symbol des Roten Kreuzes, das sie vor Angriffen schützen soll.

Österreich, Wien, 1914: Behelfsmäßger dreibahriger Transportkarren Foto aus der ÖRK-Edition 1997 von „Eine Erinnerung an Solferino“. ©ÖRK

Die Schlacht von Solferino, einem kleinen Ort südlich des malerischen Gardasees, beendete 1859 den Sardinischen Krieg zwischen dem Kaisertum Österreich und dem Königreich Sardinien und ebnete den Weg zum unabhängigen Nationalstaat Italien; das grausame Gemetzel auf dem Schlachtfeld forderte binnen 15 Stunden rund 6.000 Tote und 40.000 Verwundete. Der Schweizer Geschäftsmann Henry Dunant wurde „als einfacher Reisender, dem humanitäre Fragen ein großes Anliegen sind“  zum Augenzeugen und beschrieb die unvorstellbaren Gräuel in seinen „Erinnerungen an Solferino“. 
Und er gab mit seinem Buch 1863 den Anstoß für die Genfer Konventionen und damit das humanitäre Völkerrecht –und in weiterer Folge zur Gründung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). „Für die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung“, sagt Martina Schloffer, „ist das humanitäre Völkerrecht also nicht weniger als die Basis ihrer Existenz: Wir sind aus der Idee heraus entstanden, Verwundeten in Kriegen und bewaffneten Konflikten Erste Hilfe zu leisten. Und auch wenn wir das zum Glück in Österreich heute anders wahrnehmen können: In vielen Ländern der Erde ist das immer noch unsere tagtägliche Aufgabe.“

Organisiert im Einsatz
Martina Schloffer ist stellvertretende Leiterin des Bereichs Einsatz und internationale Zusammenarbeit im Österreichischen Roten Kreuz. Sie war selbst immer wieder in Krisen- und Katastrophenregionen aktiv: „Begonnen hat mein internationales Engagement während der Kosovo-Krise 1999. Später habe ich unter anderem in Äthiopien, Sri Lanka, Jordanien und im Libanon gearbeitet. 2003 war ich im Irakkrieg in Bagdad im Einsatz. Das war eine sehr harte Zeit, in der ich viele Dinge gesehen habe, über die ich nicht gerne spreche. Aber gerade deshalb kann ich mich intensiv in die Kolleginnen und Kollegen hineinversetzen, die aktuell in Israel und im Gaza versuchen zu helfen.“
Die gebürtige Burgenländerin hat Organisationsmanagement an der Wiener Wirtschaftsuniversität studiert und ist zudem ausgebildete Bilanzbuchhalterin – eine berufliche Basis, die auf den ersten Blick nicht auf eine Karriere in heiß umkämpften Gebieten hindeutet: „Tatsächlich habe ich allergrößten Respekt für Sanitäterinnen und Sanitäter und überhaupt medizinisches Personal, das direkt am Menschen arbeitet. Am Blut. Ich könnte das nicht! Aber ich habe erkannt, dass meine organisatorischen Fähigkeiten nicht nur im Büro, sondern auch vor Ort sehr wichtig sind, damit andere Menschen an vorderster Linie ihre Arbeit sicher erledigen können.“

Dialog mit allen Konfliktparteien
Das angesprochene humanitäre Völkerrecht (HVR)  wurde im Rahmen der ersten Genfer Konvention 1864 erstmals dokumentiert und danach immer wieder erweitert und mit Zusatzprotokollen versehen. Es definiert Regeln für Kriege und andere bewaffnete internationale Konflikte. Dazu gehören der Schutz von Zivilisten und zivilen Einrichtungen wie Krankenhäusern, Wohngebäude, Schulen oder Kindergärten ebenso wie das Verbot von Folter, Geiselnahmen, Verstümmelungen und allgemein einer „erniedrigenden und entwürdigen Behandlung“ von Gefangenen.
Das humanitäre Völkerrecht gilt juristisch allerdings als „freiwillige Selbstverpflichtung“, für deren Verletzung es keine festgelegten Sanktionen gibt. Und das bedeutet, dass auch die Arbeit des Roten Kreuzes und des Roten Halbmondes immer einen möglichst guten Kontakt zu allen Konfliktparteien voraussetzt, um eine freiwillige Einhaltung dieser Rechte zu ermöglichen: „Wir brauchen Empathie und diplomatisches Geschick gleichermaßen. Es muss uns durch einen vertrauensvollen Dialog gelingen, alle Parteien von der Notwendigkeit unserer Anwesenheit zu überzeugen. Wir sehen zuletzt aber verstärkt, dass sich nicht immer alle Parteien an das humanitäre Völkerrecht halten.“
 

Nach dem Maß der Not
Das Rote Kreuz selbst hat keine Zwangsbefugnisse, um die Einhaltung des humanitären Völkerrechts einzufordern. Aber es handelt generell nach einer Reihe von unverrückbaren Grundsätzen . Dazu zählen – neben dem über allem stehenden Bekenntnis zur Menschlichkeit – die Unabhängigkeit, die Unparteilichkeit und die Neutralität. „Es kommt aber darauf an, warum man neutral ist“, erklärt Dr. Bernhard Schneider, Bereichsleiter Recht und Migration im Österreichischen Roten Kreuz, in unserem Podcast : „Man kann neutral sein, weil man ein Feigling ist. Man kann neutral sein, weil einem alles egal ist. Man kann aber auch neutral sein, weil einem die Menschen wichtig sind. Für uns ist Neutralität ein Mittel, damit wir unsere Arbeit machen können.“
Egal, wie schwer es Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern manchmal im Einzelfall emotional fallen mag: Aus Sicht des Roten Kreuzes geht es im Einsatz weder um eine Ursachenforschung noch um die Schuldfrage. Sondern, wie etwa bei Autounfällen, nur darum, nach dem Maß der Not zu helfen und Prioritäten lediglich nach dem Grad der Verletzungen zu setzen. „Wir dürfen nicht einmal den leisesten Anschein erwecken, eine der Konfliktparteien zu bevorzugen“, sagt Martina Schloffer. „Würden wir das tun, würden wir unsere eigenen Leute gefährden und wären nicht in der Lage, unsere Arbeit zu machen.“
Die Neutralität ist das wichtigste Argument im Dialog mit Kriegs- oder Konfliktparteien, sagt Martina Schloffer: „In den Kampfpausen versorgen wir nicht nur alle Verwundeten, egal, welcher Seite sie angehören. Wir besuchen auch Gefangene und überprüfen, ob ihre ohnehin minimalen Rechte eingehalten werden. Jede Partei muss ein Interesse haben, dass wir uns im Notfall genauso um ihre Leute kümmern, die in einem gegnerischen Lager inhaftiert sind.“

Schutzzeichen Rotes Kreuz
Von größter Wichtigkeit im Hilfseinsatz ist das Rote Kreuz selbst, ebenso wie der Rote Halbmond und der Rote Kristall (das 2006 von den nationalen Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschafften festgelegte „Zeichen des Dritten Zusatzprotokolls). Diese Symbole gelten als sogenannte „Schutzzeichen“. Wer es missbräuchlich verwendet, um Gegner zu verletzen oder zu töten, verstößt gegen das humanitäre Völkerrecht und begeht damit ein Kriegsverbrechen. Umgekehrt sind ihre Träger:innen – wie der Name schon sagt – durch das humanitäre Völkerrecht geschützt und dürfen von keiner Konfliktpartei angegriffen werden.
Selbst in Friedenszeiten ist die Nutzung genauestens geregelt, in Österreich selbst etwa im Rotkreuzgesetz . „Wir achten strengstens darauf, dass nur befugte Menschen dieses Zeichen tragen. Alle Konfliktparteien müssen unbedingt darauf vertrauen, dass die Verwendung dieses Symbols ausschließlich dazu dient, neutral und unparteilich zu helfen. Deshalb müssen medizinisches Personal und andere Helfer unter allen Umständen geschützt werden.“
Aufklärung in Friedenszeiten
Das Problem und damit das Risiko, sagt Martina Schloffer, liegt darin, dass gerade in einem Konflikt wie aktuell in Israel und im Gazastreifen nicht alle beteiligten Kombattanten gleichermaßen mit dieser Regelung im Rahmen des humanitären Völkerrechts vertraut sein müssen: „Bei staatlichen Armeen ist das Teil der Ausbildung. In einem bewaffneten Konflikt mit nicht strukturiert ausgebildeten Kämpfern kann es problematisch werden. Denn: Woher sollen sie wissen, dass die Menschen, die das Schutzzeichen tragen, nicht angegriffen werden dürfen?“
Um dieser lebenswichtigen Herausforderung begegnen zu können, suchen nationale Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften schon in Friedenszeiten das Gespräch mit potenziellen Konfliktparteien: „Wir müssen schon im Vorfeld darüber aufklären, warum dieses Schutzzeichen so wichtig ist – und zwar nicht nur für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern für alle involvierten Parteien.“

Extreme Vernunft ist gefragt
Der Einsatz ist für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Roten Kreuzes grundsätzlich nicht ungefährlich, sagt Martina Schloffer: „Wir sind unbewaffnet und verzichten auf jede Bewachung durch bewaffnete Aufpasser. Denn das würde ja unsere Neutralität kompromittieren.“ Um Verwundete versorgen zu können, muss das medizinische Personal Kampfpausen abwarten und dann noch alle Konfliktparteien über das Eingreifen informieren: „Wir dürfen uns niemals selbst in Gefahr bringen und gehen niemals direkt in einen offenes Feuergefecht hinein. Sollte doch einmal auf uns geschossen werden, müssen wir uns sofort zurückziehen und schauen, ob das ein absichtlicher Angriff auf uns war. Dann müssen wir wieder mit allen Parteien neu verhandeln, damit wir wirklich helfen dürfen.“
Umso wichtiger ist, nur perfekt geschultes Personal in Kriegs- und Krisengebiete zu entsenden, sagt Martina Schloffer: „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort sind alle keine Abenteurer oder Hasardeure. Sie müssen extrem vernünftig sein, um unter Druck und vielleicht sogar Lebensgefahr die richtigen Entscheidungen treffen zu können.“ Zu den Rahmenbedingungen gehört deshalb ein Mindestalter von 26 Jahren: „Es braucht eine gesetzte Persönlichkeit, um sich all diesen Bildern auszusetzen, die einen in so einem Einsatz erwarten.“
Die Frage nach der Angst beantwortet Martina Schloffer nüchtern: „Wir lernen, mit unserem Wissen und unseren Erfahrungen umzugehen und Situationen einzuschätzen. Ein gesundes Angstgefühl kann eine wichtige Richtschnur sein. Und ein gesunder Schutzmechanismus. Aber wenn ich merke, dass ich bei der Arbeit Angst habe, kann ich keine rationalen Entscheidungen mehr treffen. Dann muss ich selbst sagen: Okay, ich kann hier nicht mehr helfen.“ Zumal es innerhalb des Roten Kreuzes andere Möglichkeiten gibt, sich zu engagieren: „Darum habe ich 1996 hier zu arbeiten begonnen: Mich hat von Anfang an die Idee fasziniert, dass es eine internationale Organisation gibt, die einfach nur versucht, Menschen sinnvoll zu helfen.“
 

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