Kinderfreundliche Räume
Aus psychologischer Sicht geht es in diesen kinderfreundlichen Räumen um fünf Faktoren, sagt Barbara Juen: Sicherheit; Verbundenheit mit Gleichaltrigen, aber auch Erwachsenen und damit eine Verbesserung der Beziehung zu Bezugspersonen; Ruhe und den Versuch, Normalität und Alltagsstrukturen zu ermöglichen; Selbstwirksamkeit durch die Möglichkeit, mit kleinen Entscheidungen dem Gefühl der Hilflosigkeit zu begegnen; und letztendlich um Hoffnung und das positive Gefühl, eine Zukunftsperspektive zu haben.
Wie Simona Mencinger im ersten Teil unserer Geschichte bereits erkannt hat, verfügen Kinder – anders als üblicherweise Erwachsene – über die natürliche Fähigkeit, ganz im Moment zu leben. „Von außen betrachtet“, sagt Barbara Juen, „befinden sich die Menschen im Gazastreifen ununterbrochen in extremer Lebensgefahr. In der Realität gibt es aber zwischendurch winzigkleine Inseln einer relativen Ruhe. Und Kinder können solche Momente im Normalfall sofort in Anspruch nehmen und ein bisschen durchatmen und vielleicht sogar zu spielen beginnen. Es kann aber passieren, dass ein Kind diese Fähigkeit verliert.“
Von entscheidender Bedeutung sind für die Kinder Bezugspersonen; meist sind das Eltern oder andere Verwandte, es können aber auch Geschwister oder andere Kinder sein, sagt Barbara Juen: „Weil traumatisierte Erwachsene für Kinder häufig nicht mehr zugänglich sind, investieren wir in Krisengebieten immer sehr viel in die Unterstützung von Bezugspersonen.“ Denn deren Verhalten beeinflusst das Verhalten und die Gefühle der Kinder maßgeblich. „Wir sprechen vom ‚Erwachsenenschutzschild‘: Wenn Erwachsene halbwegs die Ruhe bewahren, ist das für Kinder ein unglaublicher Schutz.“
Auf Fragen ehrlich eingehen
Gerade im Fall von Luftangriffen, bei denen Erwachsene verständlicherweise selbst um ihr Überleben fürchten, ist diese Ruhe allerdings schwer zu bewahren, weiß Barbara Juen. „Es heißt ja nicht, dass Bezugspersonen keine Angst haben dürfen. Im Gegenteil. Aber dann ist es notwendig, mit dem Kind ehrlich über diese Angst und vielleicht auch diese Wut, diese Ohnmacht zu sprechen. Einen Teil seiner Emotionen mit dem Kind zu teilen, ist wichtig. Sonst denkt das Kind, dass seine eigenen Gefühle abnormal sind.“
Wichtig ist aber, Kinder nicht mit Informationen und den eigenen Emotionen zu überschwemmen, sagt Barbara Juen: „Wir lassen uns in der Krisenintervention von den Fragen der Kinder leiten. Am besten ist es, offen und ehrlich auf ihre Fragen einzugehen.“ Wenn man selbst keine Antworten hat, darf man sich ruhig trauen zuzugeben, dass man etwas nicht weiß – etwa, wann denn der nächste Luftangriff kommt: „Das ist besser, als zu schweigen. Wenn Kinder gar keine Informationen bekommen, führt das zu einer noch größeren Hilflosigkeit als bei den Erwachsenen.“