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Freiwillige Helfer der Palästinensischen Rothalbmond-Gesellschaft, die auf die Bedürfnisse der von der anhaltenden Gewalt zwischen Israel und Palästina betroffenen Menschen reagieren. ©IFRC

Gaza: Kinder in der Krise

Kinder zählen zu den vulnerabelsten Gruppen der Gesellschaft. Gerade in einer so umkämpften Region wie dem Gazastreifen sind sie besonderen Gefahren ausgesetzt, wie unsere Kollegin Simona Mencinger in Teil 1 unserer Geschichte aus dem Nahen Osten berichtet.

Der Gazastreifen ist der gefährlichste Ort der Welt für Kinder, stellte die UNICEF*,  das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, im Dezember 2023 fest. Und tatsächlich berichtete die internationale Menschenrechtsorganisation Euro-Med Human Rights Monitor bereits von mehr als 10.000 getöteten Kindern** , mehr als 18.000 weitere wurden verletzt. „Diese Zahlen sind einfach unbegreifbar“, sagt Simona Mencinger, die regionale Projektleiterin des Österreichischen Roten Kreuzes im Nahen Osten. 

Zivile Infrastruktur wurde zerstört
Simona Mencinger lebt und arbeitet seit drei Jahren in der libanesischen Hauptstadt Beirut; 2023 half sie nach dem heftigen Erdbeben in der Türkei und Syrien vor Ort tatkräftig mit. Wie den meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen ist ihr der Zutritt zum 200 Kilometer entfernten Gazastreifen***  aktuell verwehrt: „Auf persönlicher Ebene ist das schwierig. Denn wenn eine Krise, ein Konflikt oder eine Katastrophe ausbrechen, ist unser erster Impuls, dorthin zu fahren, wo unsere Hilfe am dringendsten gebraucht wird.“
Die Wienerin, die selbst fließend Arabisch spricht, steht aber in engem Kontakt mit Hilfskräften im Katastrophengebiet. Und was sie in diesen Gesprächen erfährt, erschüttert selbst eine erfahrene Ersthelferin wie Simona Mencinger, die beruflich bereits im Irak und in Äthiopien im Einsatz war: „Der Gazastreifen ist unbewohnbar geworden. Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten, die als zivile Infrastruktur durch das Internationale Völkerrecht**** geschützt sein sollten, wurden zu einem großen Teil zerstört. Und das betrifft natürlich Kinder ganz besonders.“
 

©IFRC

Amputationen ohne Anästhesie
Ein aktuelles Problem, sagt Simona Mencinger, ist auch das Wetter: „Es fehlt nicht nur an Schutz vor Luftangriffen, sondern auch vor dem Wetter: Es regnet sehr viel und in der Nacht wird es sehr kalt. Viele Kinder haben keinen warmen, trockenen Schlafplatz. Deshalb kommt es momentan zu sehr vielen Lungenerkrankungen. Die unsichere Wassersituation wiederum sorgt für einen enormen Anstieg von Durchfallerkrankungen.“
Neben der extremen Ernährungsunsicherheit aufgrund geschlossener Grenzen und einer deshalb drohenden Hungersnot, birgt die zunehmend prekärer werdende Situation des Gesundheitswesens eine unvorstellbare Gefahr für Kinder, sagt Simona Mencinger: „Die Versorgung in den verbliebenen Krankenhäusern ist sehr schwierig geworden. Es fehlt an medizinischem Bedarf und das führt dazu, dass Wunden, die eigentlich heilbar wären, nicht mehr richtig versorgt werden können.“ Und das sorgt für unvorstellbares Leid: „Im Schnitt müssen zehn Kindern pro Tag Gliedmaßen amputiert werden – und das oftmals ohne Anästhesie und Schmerzmitteln …“***** 

Es fehlt an Alltagsstruktur
Dem Alltag fehlt zudem jegliche Struktur, wie sie Kinder aus Friedenszeiten kennen: „Weil fast alle noch existierenden Schulen als Notunterkünfte genutzt werden und diese Schulen auch nicht mehr sicher sind, gibt es im Gazastreifen keinen regulären Unterricht mehr“, sagt Simona Mencinger, die sich über menschliche Lichtblicke im Chaos umso mehr freut: „Lehrerinnen und Lehrer führen aus eigener Motivation heraus einen improvisierten Lehrbetrieb fort. Das ist bewundernswert, denn es bietet den Kindern nicht nur eine willkommene Abwechslung, sondern auch eine wertvolle Unterstützung in ihrer Entwicklung.“
Positiv, sagt Simona Mencinger, ist der Zusammenhalt der Zivilgesellschaft: „Tausende Kinder sind seit Anfang Oktober 2023 zu Waisen geworden. Es funktioniert aber sehr gut, dass sich rasch Verwandte oder Nachbarn um sie kümmern. Was aber klar ist: Diese Menschen können die Eltern natürlich nicht ersetzen.“ 
Was Kindern generell nicht erspart werden kann, ist das Gefühl der Hilflosigkeit: „Luftangriffe, die im Gazastreifen immer wieder vorkommen, sind etwas, wogegen man einfach machtlos ist. Dieses Wissen, dass man wiederkehrende Situationen nicht beeinflussen kann, sind für alle Menschen ein zusätzlicher Stressfaktor.“
 

Das Schweigen der Kinder
Die Lage der Kinder in der Krise, sagt Simona Mencinger, ist natürlich traumatisierend. „Kinder haben zwar die Fähigkeit, im Moment zu leben und sich zwischen den Luftangriffen Räume zu bilden, in denen sie für einen kurzen Moment lächeln können.“ Viel öfter sind aber Situationen zu beobachten, die ein deutliches Bild von den Folgen für Kinder zeichnen: „Immer wieder trifft man auf Buben und Mädchen, die aufgehört haben zu sprechen. Die sich in einer Ecke verkriechen und nicht mehr herauskommen wollen, weil sie vor allem und allen, vor dem kleinsten Geräusch schreckliche Angst haben.“
Der Palästinensische Rote Halbmond bietet im Rahmen eines allgemeinen „mental health supports“ auch psychosoziale Betreuungseinheiten an, die speziell auf die Bedürfnisse von Kindern abgestimmt sind. Allerdings ist die Nachfrage unter den knapp zwei Millionen Bewohnern des Gazastreifens unüberschaubar groß geworden: „Aber sie versuchen, den Kindern psychologische Werkzeuge mit auf den Weg zu geben, mit denen sie in Stresssituationen ihre eigene Resilienz ein wenig steigern und sich selbst in einen etwas stabileren Zustand versetzen können“, sagt Simona Mencinger. „Klar ist, dass es dringend ein Ende der Kampfhandlungen braucht, von denen hier jedes einzelne Kind betroffen ist. Aber wir müssen davon ausgehen, dass diese Kinder jahrelang psychologische Unterstützung benötigen werden.“
 

* Quellle
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