Amputationen ohne Anästhesie
Ein aktuelles Problem, sagt Simona Mencinger, ist auch das Wetter: „Es fehlt nicht nur an Schutz vor Luftangriffen, sondern auch vor dem Wetter: Es regnet sehr viel und in der Nacht wird es sehr kalt. Viele Kinder haben keinen warmen, trockenen Schlafplatz. Deshalb kommt es momentan zu sehr vielen Lungenerkrankungen. Die unsichere Wassersituation wiederum sorgt für einen enormen Anstieg von Durchfallerkrankungen.“
Neben der extremen Ernährungsunsicherheit aufgrund geschlossener Grenzen und einer deshalb drohenden Hungersnot, birgt die zunehmend prekärer werdende Situation des Gesundheitswesens eine unvorstellbare Gefahr für Kinder, sagt Simona Mencinger: „Die Versorgung in den verbliebenen Krankenhäusern ist sehr schwierig geworden. Es fehlt an medizinischem Bedarf und das führt dazu, dass Wunden, die eigentlich heilbar wären, nicht mehr richtig versorgt werden können.“ Und das sorgt für unvorstellbares Leid: „Im Schnitt müssen zehn Kindern pro Tag Gliedmaßen amputiert werden – und das oftmals ohne Anästhesie und Schmerzmitteln …“*****
Es fehlt an Alltagsstruktur
Dem Alltag fehlt zudem jegliche Struktur, wie sie Kinder aus Friedenszeiten kennen: „Weil fast alle noch existierenden Schulen als Notunterkünfte genutzt werden und diese Schulen auch nicht mehr sicher sind, gibt es im Gazastreifen keinen regulären Unterricht mehr“, sagt Simona Mencinger, die sich über menschliche Lichtblicke im Chaos umso mehr freut: „Lehrerinnen und Lehrer führen aus eigener Motivation heraus einen improvisierten Lehrbetrieb fort. Das ist bewundernswert, denn es bietet den Kindern nicht nur eine willkommene Abwechslung, sondern auch eine wertvolle Unterstützung in ihrer Entwicklung.“
Positiv, sagt Simona Mencinger, ist der Zusammenhalt der Zivilgesellschaft: „Tausende Kinder sind seit Anfang Oktober 2023 zu Waisen geworden. Es funktioniert aber sehr gut, dass sich rasch Verwandte oder Nachbarn um sie kümmern. Was aber klar ist: Diese Menschen können die Eltern natürlich nicht ersetzen.“
Was Kindern generell nicht erspart werden kann, ist das Gefühl der Hilflosigkeit: „Luftangriffe, die im Gazastreifen immer wieder vorkommen, sind etwas, wogegen man einfach machtlos ist. Dieses Wissen, dass man wiederkehrende Situationen nicht beeinflussen kann, sind für alle Menschen ein zusätzlicher Stressfaktor.“