Die Hilfe kommt zu den Menschen
Insgesamt soll es 43 mobile Hitze-Punkte geben, sechs davon werden direkt vom Österreichischen Roten Kreuz betrieben; mindestens 150 Menschen sollen jeweils Schutz vor der Kälte finden und mit heißen Getränken versorgt werden: „Das werden Transporter mit eigenen Stromgeneratoren sein, die wir rasch in betroffene Gebiete chauffieren können. Wir bringen unsere Leistung damit direkt zu den Menschen, die sie am dringendsten brauchen.“
Daneben bereitet sich die österreichische Delegation – die neben der Hauptstadt Kiew auch in Lwiw und in Uschhorod im Dreiländereck mit Ungarn und der Slowakei stationiert ist – auf spontane Hilfseinsätze in kleinstem Rahmen vor: „Einerseits ist es unsere Aufgabe, den Menschen einen Zugang zur Gesundheitsversorgung zu ermöglichen.“ Andererseits arbeitet das rot-weiß-rote Team eng mit den Kolleginnen und Kollegen vom Ukrainischen Roten Kreuz zusammen: „Über diese Kooperation geben wir vor Ort Bargeld direkt an Menschen weiter, die sich Güter des täglichen Bedarfs oder Brennmaterial nicht mehr leisten können. Wir wissen, dass vor allem viele ältere Menschen auf unsere rasche, unbürokratische Unterstützung angewiesen sind.“
Bargeld, weiß Angelika Forsström, ist generell ein wesentlicher Beitrag, um eine Gesellschaft nachhaltig zu stärken: „Am effizientesten helfen wir, wenn wir so viele Waren wie möglich lokal einkaufen, um die Wirtschaft vor Ort zu unterstützen und am Leben zu halten. Wir bringen nur im Notfall Waren aus dem Ausland in die Ukraine.“
Eine Nuklearkatastrophe ist vorstellbar
Zu den prinzipiellen Herausforderungen in Konfliktregionen, sagt Angelika Forsström, gehören die Unsicherheit und damit eine erschwerte Planung: „Es werden ja – manchmal bewusst – Gerüchte und Falschmeldungen gestreut. Unsere Aufgabe ist es, Entscheidungen fokussiert und auf Basis verlässlicher Informationen zu treffen. Und neben einem Plan A auch einen Plan B, einen Plan C und einen Plan D in der Schublade zu haben …“
Grundsätzlich müsse man sich aber gerade in einem Konflikt wie in der Ukraine auf schlimmstmögliche Szenarien vorbereiten, sagt Angelika Forsström. Und deshalb weiß sie auch, wie eine vielbeachtete Aussage von Maksym Dosenko einzuschätzen ist; der Generaldirektor des Ukrainischen Roten Kreuzes hatte bei einem Pressetermin im September in Wien vor einer potenziellen Nuklearkatastrophe gewarnt. „Wir werden immer wieder von Entwicklungen überrascht“, erklärt Angelika Forsström. „Noch zu Beginn des Jahres 2022 konnte sich niemand vorstellen, dass der Konflikt so massiv eskaliert. Dann konnte sich niemand in der Ukraine vorstellen, dass kritische Infrastruktur gezielt bombardiert wird. Und niemand konnte sich vorstellen, dass der Kachowka-Staudamm zerstört wird. Warum sollten wir uns jetzt nicht vorstellen, dass ein Atomkraftwerk angegriffen wird? In der Ukraine ist offenbar alles möglich.“
Eine Familie abseits der Familie
Ihre vielfältigen Erfahrungen, sagt sie, machen es ihr einfacher, persönlich mit den psychischen Herausforderungen in der Ukraine umzugehen: „Nächtliche Sirenen werden nie zur Routine. Aber ich arbeite schon lang in Konfliktgebieten, ich kenne solche Situationen.“ Ihre eigene Gefühlslage analysiert sie professionell: „Dass ich mich drei-, viermal pro Woche mitten in der Nacht in einem Luftschutzkeller verstecken muss, das ist jetzt mein Leben. Jeder Mensch, der mit einer Hilfsorganisation wie dem Roten Kreuz in die Ukraine geht, weiß, was ihn oder sie erwartet. Aber wenn ich von einem Fliegeralarm geweckt werde, mache ich mir immer noch Sorgen um meine Leute.“
Um die Einsatzfähigkeit ihres zehnköpfigen Kernteams, das teilweise bereits den zweiten Winter in der Ukraine verbringen wird, zu sichern, sind auch auf persönlicher Ebene spezielle Vorbereitungen notwendig: „Wir haben einen guten Rhythmus gefunden, in dem unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zwischendurch in der Heimat Kraft schöpfen können.“ Abgesehen von regelmäßiger psychologischer Betreuung ist es außerdem hilfreich, neben der Arbeit ein mehr oder wenig „normales“ Leben zu führen: „Wir unternehmen an den Wochenenden miteinander kulturelle oder sportliche Aktivitäten. Damit unterstützen wir uns gegenseitig, denn als Team sind wir füreinander eine Art Familie abseits der Familie.“
Es lohnt sich, morgens aufzustehen
Kiew, sagt Angelika Forsström, ist trotz allem eine lebendige Stadt. Oder vielleicht sogar gerade wegen der permanenten Angst und Bedrohung, mit der die Menschen seit Beginn des bewaffneten Konflikts im Februar 2022 umzugehen gelernt haben: „Es gibt nächtliche Ausgangssperren, daher schließen die Lokale schon recht früh. Gleichzeitig scheinen die Menschen das Hier und Jetzt bewusst zu genießen. Das ist offenbar eine normale menschliche Reaktion, wenn du nicht weißt, was morgen sein wird.“
Der direkte Kontakt zu den Menschen ist und bleibt die große Triebfeder für ihre Arbeit: „Wir sprechen jeden Tag mit Leuten, die direkt von den Auswirkungen des Konflikts betroffen sind. Wenn du nur ein bisschen an der Oberfläche kratzt, beginnen sie, über ihre Erlebnisse und Erfahrungen zu erzählen. Diese Geschichten sind alle verheerend. Aber allein, dass wir da sind und ihnen zuhören, ist für viele Menschen schon eine große Hilfe. Sie wissen, dass der Rest der Welt sie nicht vergessen hat.“
Ihren eigenen Mut und ihre Zuversicht will – und wird – ebenfalls Angelika Forsström nicht verlieren: „Die Menschen hier in der Ukraine sind unglaublich belastbar, sie sind unverwüstlich. Wenn sie die Hoffnung haben, dass es sich lohnt, jeden Tag aufzustehen und weiterzumachen, dann habe ich diese Hoffnung auch.“