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Alte Damen in Chernihiv, Ukraine
Ukraine/Chernihiv

Ukraine: Überlebenswichtige Hilfe für ältere Menschen

„Es geht nicht um große Zahlen. Es geht um jedes einzelne Schicksal.“

Walter Hajek, Leiter der internationalen Zusammenarbeit des Österreichischen Roten Kreuzes, bereiste im Oktober die Ukraine und besuchte Projekte, die dank heimischer Unterstützung für die Menschen vor Ort oft die letzte Verbindung zur Welt darstellen. Gerade im Bereich der mobilen medizinischen Betreuung und der sozialen Besuchsdienste leistet Österreich lebenswichtige Hilfe in der Konfliktregion. 

Mitarbeiter des Roten Kreuzes in der Ukraine
Walter Hajek bei seinem Besuch in Chernihiv/Ukraine

Walter Hajek hat in den vergangen 20 Jahren einiges gesehen von der Welt. Und dennoch hat es dem Juristen und Manager bei seinem Besuch in der Ukraine Tränen in die Augen getrieben: „In entlegenen Ortschaften leben so viele alte, kranke Menschen, um die sich außer uns niemand kümmert. Unsere Unterstützung ist wortwörtlich von lebenswichtiger Bedeutung.“ Der Leiter der internationalen Zusammenarbeit des Österreichischen Roten Kreuzes hat die Ukraine von 15. bis 23. Oktober bereist: „Ich war mit einer zehnköpfigen Delegation unterwegs und habe die Büros des Österreichischen Roten Kreuzes in Kiew und Lwiw besucht. Ich war aber auch in Tschernihiw an der Grenze zu Weißrussland.“  

Jede Familie ist unmittelbar betroffen 
Sinn der Tour waren ein Monitoring aktueller Projekte und Planungsgespräche für zukünftige Kooperationen: „Ich wollte mir selbst ein Bild davon machen, wie unsere laufenden Programme umgesetzt werden. Und wir haben Gespräche geführt, um unsere mittelfristige und langfristige Unterstützung des Ukrainischen Roten Kreuzes auszuloten.“ 

Allein die stundenlangen Autofahrten im Norden der Ukraine haben bei Walter Hajek einen tiefen Eindruck hinterlassen: „Diese entlegenen Dörfer verfallen zusehends. Die jungen Menschen sind schon vor Jahren in die Städte gezogen oder seit Beginn des bewaffneten Konflikts im Februar 2022 ins Ausland geflohen.“ Oder es hat sie ein noch schlimmeres Schicksal ereilt. „Man kommt sehr oft an Friedhöfen vorbei, auf denen vor kurzem gefallene Soldaten begraben wurden. Auf den Gräbern sieht man Fotos der Verstorbenen und sehr viele ukrainische Flaggen.“ 

Der Tod ist allgegenwärtig, sagt Walter Hajek: „Jede einzelne Familie ist unmittelbar betroffen. Ich habe mit sehr vielen Menschen gesprochen und jedes Mal habe ich gehört, dass ein enger Verwandter gestorben oder jetzt gerade an der Front ist. Und das führt neben dem eigenen Leid zu einer riesigen Angst um jene Angehörigen, die aktuell in Kampfhandlungen verwickelt sind.“ 

Tschernihiw, ein Oblast (also Verwaltungsbezirk) im Norden der Ukraine, ist nicht direkt von den anhaltenden Kämpfen betroffen. Und doch spüren die knapp eine Million Einwohner:innen die Auswirkungen Tag für Tag. „Das Gesundheitssystem in der gesamten Ukraine ist sehr stark in Mitleidenschaft gezogen. Speziell in den ländlichen Gegenden gibt es einfach keine ärztliche Versorgung mehr – und das ist gerade für Menschen am Rande der Gesellschaft eine massive Bedrohung.“ 

Dörfer ohne medizinische Betreuung 

Hier setzt die Arbeit des Österreichischen Roten Kreuzes an, das in der Ukraine insgesamt 26 Projekte unterstützt – sei es personell, finanziell oder durch Bereitstellung von Know-how und Equipment. Einer der Schwerpunkte ist die mobile medizinische Betreuung; etwa 130 speziell ausgerüsteter Krankenwagen setzt das Ukrainische Rote Kreuz im gesamten Land ein, 41 davon mit Hilfe des Österreichischen Roten Kreuzes: „Jeder Wagen ist – neben einem Fahrer – mit einem Arzt oder einer Ärztin und einer oder zwei Krankenschwestern besetzt“, sagt Walter Hajek. „Dazu kommen medizinische Gerätschaften und die gängigsten Medikamente, weil es in ländlichen Gegenden natürlich auch kaum Apotheken gibt.“ 

Diese mobilen Gesundheitskliniken machen regelmäßig – zumindest einmal pro Monat – Halt in kleinen Dörfern und Gemeinden. „Die Termine werden vorher angekündigt. Die Untersuchungen und Behandlungen finden dann meistens in einem öffentlichen Gebäude statt; sollten weitere Schritte dringend notwendig sein, werden Patient:innen danach direkt in eines der nächstgelegenen Spitäler gebracht.“ 

Zahlreiche der Rettungswagen, sagt Walter Hajek, stammen übrigens aus Österreich. Doch weil die Fahrt einzelner Ärzteteams zu den Patient:innen weniger effizient ist als eine stationäre Betreuung, soll es mittel- und langfristig andere Lösungen geben: „Mobile Kliniken sorgen zurzeit für eine wesentliche Entlastung des Gesundheitswesens. Wir müssen uns aber überlegen, wie wir diese Einheiten in permanente Einrichtungen umwandeln – vor allem im Westen des Landes, in dem ein relativer Friede herrscht.“  

Das könnte, sagt Walter Hajek, durch einen Transportdienst geschehen, der Menschen aus den Dörfern abholt und zur Behandlung in größere Städte fährt. „Viele der Menschen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind, beziehen die Mindestpension, die bei umgerechnet 60 bis 70 Euro liegt. Für diese Menschen ist eine Fahrt auf eigene Kosten eine unüberwindbare Hürde. Deshalb unterstützen wir diesen Transformationsprozess sowohl technisch als auch durch unsere Expert:innen, damit ein neuer Service nachhaltig und qualitativ hochwertig aufgesetzt werden kann.“ 

Mitarbeiterin Rotes Kreuz und alte Dame in der Ukraine
Rotkreuz Mitarbeiterinnen und ältere Dame in der Ukraine

Altenheime sind unerschwinglich 
Ein anderer Schwerpunkt des ÖRK in der Ukraine sind soziale Besuchsdienste, erzählt Walter Hajek. „Das ist aus meiner Sicht ebenfalls ein enorm wichtiges Projekt. Da, wie gesagt, viele der jüngeren Menschen weggezogen oder gefallen sind, leben in den abgelegenen Dörfern viele vulnerable Menschen ganz allein in ihren Wohnungen oder Häusern. Altenheime sind unerschwinglich; der Staat schafft es nicht, bettlägerige Menschen zu versorgen. Es ist eine unglaublich traurige Situation: Es gibt so viele alte, pflegebedürftige Männer und Frauen, um die sich niemand kümmert.“ 

Das Argument, dass ja Ukrainer, die ins Ausland geflohen sind, zurückkehren könnten, lässt Walter Hajek nicht gelten: „Sobald junge Männer über die Grenze kommen, werden sie zum Militärdienst eingezogen. Aber wir wissen, dass sie ihre Angehörigen zu Hause zumindest finanziell nach Kräften zu unterstützen versuchen.“ Und so bleibt in der Praxis neben der Nachbarschaftshilfe nur der professionell organisierte Besuchsdienst des Roten Kreuzes. 

Es geht um den einzelnen Menschen 
Insgesamt konnte das Österreichische Rote Kreuz seit Beginn des bewaffneten Konflikts im Februar 2022 über die mobile medizinische Betreuung und über soziale Besuchsdienste 175.000 Personen erreichen. „Wobei wir nicht vergessen dürfen: Es geht nicht um große Zahlen. Es geht um jedes einzelne Schicksal, das hinter diesen Zahlen steht.“  

Zwei dieser Schicksale sind Walter Hajek besonders ans Herz gegangen: „Ich habe eine Frau kennengelernt, die zuerst ihre Eltern bis zu deren Tod gepflegt hat und dann auch noch ihre Schwester. Und sie hat einen Sohn, der nach einem Gehirntrauma bettlägerig ist. Sie wohnen im zweiten Stock, und sie hat ihren Sohn jeden Tag hinauf- und hinuntergetragen, damit er hin und wieder frische Luft schnappen konnte. Dadurch ist aber ihre Hüfte kaputtgegangen, und eine neue Hüfte übersteigt ihre finanziellen Mittel natürlich bei Weitem. Die Folge ist: Sie und ihr Sohn haben die Wohnung seit zwei Jahren nicht mehr verlassen können. Aber immerhin kommen jeden Tag für ein, zwei Stunden Sozialarbeiterinnen vom Ukrainischen Roten Kreuz, um ihnen im Haushalt zu helfen.“ 

Auch für andere Frau, die Walter Hajek im Zuge seiner Reise durch die Ukraine kennengelernt hat, bestätigt ihn im Engagement des Roten Kreuzes: „Ihr Name ist Ludmilla, sie ist 89 Jahre alt, dement und bettlägerig. Sie liegt 22 Stunden pro Tag allein in ihrer Wohnung. Einmal täglich kommt eine Sozialarbeiterin vorbei und spricht mit ihr, wäscht sie und kocht für sie. Und vor allem gibt sie ihr die Gewissheit, dass jemand für sie da ist.“ 

Jedes Projekt ist wichtig! 

Frauen warten in Chernihiv auf ihren Termin beim Roten Kreuz

Die Mitarbeiterinnen im sozialen Besuchsdienst („es sind tatsächlich in erster Linie Frauen, die sich um diese Aufgaben kümmern“) sind für viele dieser Menschen eine letzte mentale Rettungsleine, sagt Walter Hajek: „Das war wahrscheinlich der stärkste Eindruck, den ich in der Ukraine gewonnen habe: Wie viel es diesen einsamen Menschen bedeutet zu wissen: ‚Wir sind nicht allein! Man hat uns nicht vergessen, man hat uns nicht aufgegeben.‘“ 

Zurück in Wien fühlt sich Walter Hajek in seiner Arbeit bekräftigt. Und in der des Roten Kreuzes – sowohl des österreichischen als auch des ukrainischen! „Nach allem, was ich gesehen und gehört habe, würde ich kein einziges unserer gemeinsamen Projekte anders aufsetzen. Jedes einzelne Projekt ist ungemein wichtig. Die Menschen vor Ort werden bestmöglich unterstützt. Unsere Arbeit ist nicht nur sinnstiftend, sie ist im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtig! Ohne das Rote Kreuz würden viele dieser Menschen ganz einfach sterben.“ 

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Ukraine

Das Ukrainische Rote Kreuz leistet seit Ausbruch der Proteste unparteiische Hilfe für die Betroffenen. Auch freiwillige Helfer wurden im Rahmen der Proteste in Ausübung ihrer Hilfe verletzt. Die Hilfsmaßnahmen wurden durch die Kältewelle noch erschwert. Mehr Informationen

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